Jenseits von Uedem
er in die Gesichter der Gaffer rund um den Friedhof schaute, hätte er am liebsten gekotzt. Kinder steckten ihre kleinen Köpfe durch die Lücken im Tor und staunten. Solange die Eltern daneben standen, konnten die Polizisten kaum was dagegen tun.
Toppe fühlte sich verantwortlich für die ganze Aktion, und je länger sie dauerte, um so unerträglicher wurde er sich der Unmenschlichkeit und der Verachtung bewußt. Er war nur froh, daß van Appeldorn endlich die Klappe hielt.
In der letzten Stunde hatte keiner auf dem Friedhof mehr als das allernötigste gesprochen.
Berns und van Gemmern verschwanden mit dem Chemiker im Transit, der Staatsanwalt war nirgendwo zu entdecken.
Die beiden Totengräber hatten sich auf Johanna van Baals flachgelegten monströsen Grabstein gesetzt, die Henkelmänner zwischen den Knien. Sie hatten zügig gearbeitet und mußten ziemlich kaputt sein, aber auf Toppes Anteilnahme kam nur was von »mit links, jeden Tach« und »Sie können pünktlich Feierabend machen, Meister«.
»Was ist?« klopfte ihm van Appeldorn auf die Schulter. »Wie war das noch mit was Geherztem? Auf nach Bella Napoli?«
Toppe sah sich nach Astrid um. Sie studierte auf der anderen Seite des Weges die Grabsteine.
»Astrid«, rief er leise. »Hast du Lust auf eine Pizza?«
Sie kam sofort zu ihm, aber sie schüttelte den Kopf. »Ich hab' überhaupt keinen Hunger.«
Er legte ihr den Arm um die Taille und drückte sie kurz.
»Ach komm, laß uns mal für eine Stunde hier verschwinden. Es tut allein schon gut, wenn wir mal ins Trockene kommen.«
»Hei, was haben wir denn da?« Bonhoeffers Augen funkelten. »Das sieht gar nicht so schlecht aus«, murmelte er, »gar nicht so schlecht.«
Heinrichs hielt die Luft an.
Van Appeldorn hatte recht gehabt, der erste Leichnam war bei Weitem der appetitlichste gewesen. Als der vierte Sarg geöffnet wurde, schlug ihnen ein unerträglicher Geruch entgegen. Bei Wendelin Mairhofer konnte man noch Weichteile erahnen, auch die Haut war noch mehr oder weniger vorhanden. Der Mann war unsagbar fett gewesen.
Astrid legte die Hände vor die Augen. Als sie van Appeldorn hinter sich würgen hörte, rannte sie los.
26
Um fünf Uhr hatten sie es tatsächlich geschafft.
Die beiden Totengräber nahmen ihre Spaten und Schaufeln und verschwanden grußlos in der Dunkelheit. Berns weigerte sich lauthals, noch irgendeinen Handschlag zu tun, obwohl ihn überhaupt niemand darum gebeten hatte. Auch van Gemmern und der Chemiker machten für heute Feierabend. Der Staatsanwalt war schon vor über einer Stunde gefahren.
Astrid ließ sich zu Hause absetzen, um zu duschen und sich was Trockenes anzuziehen. Toppe und van Appeldorn fuhren direkt zum Präsidium. Sie waren unter ihren dicken Parkas relativ trocken geblieben. Nur die Hosenbeine waren schmutzig und feucht bis zu den Knien, die Schuhe lehmverschmiert.
Blitzlichter flammten auf, als sie aus dem Auto stiegen. Sie drängelten sich mit lang eingeübten Steingesichtern durch einen ganzen Pulk von Reportern und liefen die Treppe hinauf. Siegelkötter stand in der Tür zu seinem Büro. »Haben Sie denen was gesagt?« fragte er aufgeregt.
»Haben Sie einen heißen Kaffee für uns?« meinte van Appeldorn.
»Selbstverständlich«, nickte Stasi. »Kommen Sie herein, wir warten schon auf Sie.«
Zu spät bemerkte er den Zustand ihres Schuhwerks.
Ackermann und Stein saßen, jeder eine Kaffeetasse vor sich, gemütlich auf dem Ledersofa.
Siegelkötter ging zum Fenster und spähte vorsichtig hinaus. »Ich habe die ganze Bande eben rausgeschmissen und sie mit einer Pressekonferenz morgen vertröstet.«
Toppe schnellte herum, aber Siegelkötter winkte jovial ab.
»Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Ich mache das schon.«
Was war denn mit dem los? Soviel Pomade. Wegen Stein? Aber schon war es wieder vorbei. Stasis Kiefer mahlten. »Genau, wie ich es Ihnen prophezeit habe. Gnade Ihnen Gott, wenn sich die ganze Sache als eins von Ihren Hirngespinsten entpuppt! Dafür halte ich meinen Kopf nicht hin.«
»Gott?« fragte van Appeldorn.
Astrid kam in Strickleggings und einem dicken grauen Pullover, der so groß war, daß ihre Hände in den Ärmeln verschwanden. Sie hatte sich nicht geschminkt.
»Habt ihr schon was aus der Pathologie gehört?« fragte sie.
»Nein«, sagte Toppe und hätte am liebsten den ganzen Kram hingeschmissen und sich mit ihr verdrückt, irgendwohin, wo es wärmer war.
»Na, dann wollen wir euch ma' wat erzählen«, sagte
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