Jenseits von Uedem
sowieso, dat für uns echte Niederrheiner Uedem grad' ma' ebkes noch dabei gehört, wenn et ja auch eigentlich die Grenze is'.«
»Was denn für eine Grenze?« fragte Toppe verdutzt.
»Uedem war im Mittelalter die Grenzfeste der Grafen von Kleve gen Westen«, erklärte Astrid.
»Ach, so genau weiß ich dat gar nich'«, sagte Ackermann und lehnte sich an die Wand. »Aber is' doch ir'ndwie komisch, dat man dat noch so merkt. Wie mein Vater schon sacht: >mit siebzehn bin ich von zu Hause weg; da war ich dat erste Mal hinter Uedemc. So isset einfach. Un' ich kann euch sagen, Kinder, die sind so wat von eigen. Sind ma' bloß vier Gemeinden. Un' wat machen die? Kriegen sich gegenseitig anne Köppe. Uedemerfeld un' Uedemerbruch, dabei sind dat doch bloß 'n paar Gehöfte. Un' ma' erst zwischen Keppeln un' Uedem - da is' vielleich' immer wat los! So wat habbich echt noch nie gehört.« Sein ganzer Körper schüttelte sich vor Ungläubigkeit.
»Ach ja?« meinte van Appeldorn. »Und wie ist das zwischen Kranenburg und Scheffenthum?«
»Oder zwischen Kleve und Kellen?« ergänzte Astrid.
Ackermann tippte sich an die Stirn. »Dat kann man ja wohl nich' vergleichen. Bei uns isset ja noch ir'ndwie verständlich. Aber die da? Da gibbet Sachen wie >vor< un' >hinter< de Bahn. Dat is' wichtig, wo man wohnt: vor oder hinter de Bahn! Dat muß man sich ma' vorstellen: klauen sich gegenseitig bei Nacht un' Nebel Denkmäler. Aber wen'stens können se selber noch drüber lachen. Hat mir der Küster erklärt: der Brunnen da auf 'm Markt, dat sollen nämlich die vier Gemeinden sein. Un' ihr wollt jetz' also die Ruhe der Toten stören. Ts, ts, ts ...«
Zum ersten Mal holte Ackermann Luft, sein Päckchen Tabak aus der Hosentasche und rollte sich eine Zigarette. Beim Anlecken des Blättchens zog er die Oberlippe hoch und gab den Blick frei auf fünf oder sechs Zahnruinen. »Un' ihr meint echt, dat die Holbe die alle in't Jenseits befördert hat?«
»Wer hat denn was von Susanne Holbe gesagt?« fragte van Appeldorn interessiert.
Ackermann war von Kopf bis zu den Schnürstiefeln ganz Mißbilligung. »Nu' bitt' ich dich aber, Norbert! Meinste, ich kann nich' zwei un' zwei zusammenzählen?« Er zündete sich die Zigarette mit seinem Sturmfeuerzeug an; die Flamme war mindestens zehn Zentimeter lang und fauchte gefährlich.
»Bloß schad', dat ich nich' dabei sein kann morgen.«
Er stieß sich mit dem Fuß von der Wand ab und hinterließ einen fetten Schuhabdruck. »Ik mott loss! Wollt' sowieso bloß ebkes ma' reinkucken. Ach ...« Er spielte Columbo. »Dat Wichtichste hatt' ich fast vergessen. Die Herren Stiftungsbeirat hatten mit te Laak nix zu tun. Kannten den au' nich'. Wie gesacht: gründlich gecheckt. Die Jungs sind blitzsauber, jeder davon. Bloß mit dem Pastor hab' ich natürlich nich' gesprochen.« Er wieherte. »Der hat sich ja vom Acker gemacht«, nahm er die Zigarette aus dem Mund. »Dat muß ich ebkes noch erzählen .«
»Ackermann!« unterbrach ihn van Appeldorn drohend.
»Wat is' denn, Norbert? Ich fand den Abgang echt Klasse. Hat doch Stil, oder wie? Mitten inne Messe, bei de Kommunion, einfach umkippen un' dabei noch durchgeistigt lächeln. Ich bitte dich! So wat krisse doch sons' bloß im Film geboten.«
»Wir haben noch eine kleine Nebenbeschäftigung.« Van Appeldorn blieb eisern.
»Is' ja schon gut. Wenn et ir'ndwie klappt, komm' ich morgen ma' kucken, wie et so löpt op den Uemse Kerkhoff.«
25
Heinrichs hatte darum gebeten, als ersten Karl Menge zu exhumieren, und war dann sofort nach Emmerich in die Pathologie gefahren, um sich mit Bonhoeffer zu besprechen.
Es war ein trüber Morgen; die Sonne hatte keine Chance gegen den fisseligen Regen, der langsam aber gründlich alle Kleider durchweichte. Astrid klebten die Haare in schwarzen Strähnen am Kopf. »Du wirst dir den Tod holen«, meinte Toppe und strich ihr leise mit dem Mittelfinger über die Lippen.
Sie waren fünfzehn Leute: je zwei Polizisten an den Friedhofstoren, van Gemmern und Berns, der Chemiker, zwei Totengräber, zwei vom Bestattungsunternehmen, Toppe, Astrid und van Appeldorn. Stein war mit Ackermann in Holbes Wohnung und hatte einen Vertreter geschickt, einen säuerlichen Mittvierziger, der die Zähne nicht auseinander kriegte.
»Irgendwie komme ich mir vor wie in diesem einen Boris Karloff-Film«, murmelte Astrid.
Die Verstorbenen aus dem Altenheim lagen alle auf dem neuen Teil des Friedhofs, gleich beim Seiteneingang, wo die Lebensbäume
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