Jerry Cotton - 0573 - Ich stuerzte den Gangster-Koenig
über die Lippen zu rutschen als jeder angelernte Tarnname.
Das Mädchen reagierte. Dennis war blaß, ihr Haar zerrauft, aber sie sah nicht sehr lädiert aus. »Sind Sie geflohen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er ließ mich laufen.«
»Steigen Sie auf, bevor er es sich anders überlegt!«
Sie zögerte. Ich sagte es schon, sie hatte einfach genug von Motorrädern.
»Vorwärts«, drängte ich. Sie überwand ihre Abneigung, kletterte auf den Mitfahrersitz und klammerte sich an mir fest. Ich wendete die Maschine. In zwei Minuten erreichte ich die Willis Avenue. Ich nahm für wenige Sekunden das Gas weg und blickte über die Schulter. Niemand folgte uns.
»Wohin soll ich Sie bringen?«
»In meine Wohnung.«
»Nicht zur Polizei?«
Sie schüttelte den Kopf. »Es hat keinen Zweck!«
»Scolaro hat Sie entführt, Dennis.«
»Ich will ihn nicht anzeigen. Mir ist nichts geschehen. Er hat kein Lösegeld verlangt. Ich befand mich kaum zehn Minuten in seiner Gewalt. Fahren Sie mich nach Hause, Jerry!«
»Wenn Sie einverstanden sind, fahre ich bei meinem Shop vorbei, Dennis. Ich glaube, im Kühlschrank steht noch eine angebrochene Flasche Whisky. Sie haben einen Schluck so nötig wie ich.«
»Ich trinke nicht.«
»Macht nichts. Ich werde Ihnen ein paar Kognakbohnen aus meinen Warenbeständen spendieren.«
Einige Minuten später ließ ich die Harley vor meinem Süßwarenladen in der Brook Avenue ausrollen, ließ das Mädchen absteigen und stellte die Maschine in die Halterung. Ich schloß die Ladentür auf und schaltete das Licht ein.
Dennis Glover blieb im Laden. Ich holte den Whisky und zwei Gläser. »Kognakbohnen?« fragte ich. Sie lächelte schwach. »Lieber doch Whisky! Haben Sie eine Zigarette?«
Ich versorgte sie und hob mein Glas. »Trinken wir darauf, daß wir beide noch einmal davongekommen sind.«
Sie schauderte zusammen, trank einen Schluck und rauchte in hastigen Zügen.
»Erzählen Sie, was mit Ihnen geschah, Dennis.«
»Er zerrte mich auf sein Motorrad und raste davon. Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Er fuhr so schnell, daß ich mehr Furcht vor einem Sturz als vor Scolaro hatte. Erst im Hof seiner Höhle stoppte er, stieg ab und zerrte mich in den Bau.« Sie trank das Glas leer. »Wir waren allein«, flüsterte sie. »Er grinste mich an. Ich wich bis an die Wand zurück. Er folgte mir nicht. Plötzlich zerrte er einen länglichen Metallkasten aus der Tasche, hielt ihn ans Ohr, knurrte ›ich verstehe nicht‹, machte sich an dem Ding zu schaffen und drückte es wieder ans Ohr.«
»War es ein Walkie-Talkie?«
»O ja«, sagte sie. »Ich war zu aufgeregt, um es zu erkennen. Ja, es war ein Walkie-Talkie. Er zog die Antenne aus und preßte es wieder ans Ohr. Er sagte zwei- oder dreimal ›Ja‹; dann schrie er wütend: ›Okay‹. Er schob die Antenne zusammen und warf das Funksprechgerät auf eine zerfledderte Couch. Er kam auf mich zu und schrie mich an: ›raus mit dir!‹ Er war fürchterlich wütend. Ich flüchtete, fand den Ausgang, rannte in Richtung auf die Lichter der Willis Avenue und begegnete Ihnen, Jerry.«
Ich hob die Whiskyflasche. »Noch einmal gutgegangen. Mögen Sie noch einen Schluck?«
»Nein, vielen Dank, aber ich möchte wirklich nach Hause!«
»In Ordnung. Ich werde Sie hinfahren.«
Als wir vor dem Motorrad standen, fragte sie: »Ist es nicht eine der Scolaro-Maschinen?«
»Selbstverständlich. Ich habe sie mir ausgeliehen. Steigen Sie auf!«
Ich fuhr das Mädchen zur 144. Straße. Nichts geschah. Niemand aus Scolaros Verein tauchte auf.
Dennis stieg ab und reichte mir die Hand. »Vielen Dank, Jerry. Hoffentlich werden Sie meinetwegen keine Schwierigkeiten haben.«
»Machen Sie sich um mich keine Sorgen!«
Ich fuhr nicht zu meinem Laden zurück, sondern eine halbe Meile nach Norden. Als ich eine Telefonzelle fand, stoppte ich die Harley, stieg ab und ging in die Zelle. Ich wählte eine bestimmte Telefonnummer. Mein Freund und Kollege Phil Decker meldete sich.
»Hallo«, sagte ich, »triff mich am Südeingang des Yankee-Stadions.«
Er kam in einem unauffälligen blauen Mercury, dem nicht anzusehen war, daß er zum FBI-Wagenpark gehörte. Er fuhr an mir vorbei, parkte den Wagen und kam zu Fuß zurück. Ich ging in den Schatten eines der Zugänge zum Stadion, Phil folgte mir. Mit dem Daumen zeigte er auf die Harley, die am Straßenrand stand. »Ist das eine Scolaro-Maschine?« fragte er. Ich nickte. Er grinste ein wenig. »Hast du dich schon auf einen Dauerkrieg
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