Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Leichnam in einem Leichenzug zur Beisetzung in der Grabeskirche. Am Weihnachtstag ließ Melisende ihren 12-jährigen Sohn zum König Balduin III. krönen, aber die Regierungsgeschäfte führte sie. In einem von Männern dominierten Zeitalter war sie »eine sehr kluge Frau«, die sich laut Wilhelm von Tyrus, »über die gewöhnlichen Schwächen des weiblichen Geschlechts so weit erhob, daß sie sich vor den gewaltigsten Unternehmungen nicht scheute«; sie regierte »das Reich so trefflich, daß man sie in diesem Punkte mit Recht ihren Vorvätern an die Seite setzen konnte«. [141]
In diesem bittersüßen Moment kam es zu einer Katastrophe. Zengi der Blutige eroberte 1144 Edessa, tötete fränkische Männer, versklavte fränkische Frauen (verschonte allerdings armenische Christen) und zerstörte damit den ersten Kreuzfahrerstaat und die Wiege der Jerusalemer Dynastie. Die islamische Welt jubelte. Die Franken waren nicht unbesiegbar, und sicher sollte Jerusalem als nächstes an die Reihe kommen. »Wenn Edessa die hohe See ist, ist Jerusalem die Küste«, schrieb Ibn al-Qaysarani. Der Abbasidenkalif verlieh Zengi die Titel »Zierde des Islam«, »Helfer des Oberhaupts der Gläubigen« und »König von Gottes Gnaden«. Aber Zengis ausschweifende Trunksucht und Härte brachten ihn in seinem eigenen Nachtlager zu Fall.
Bei einer Belagerung im Irak schlich sich im September 1146 ein gedemütigter Eunuch – vielleicht einer der Männer, die Zengi aus Willkür hatte kastrieren lassen – in sein schwer bewachtes Zelt und stach auf den betrunkenen Potentaten in seinem Bett ein. Ein Höfling fand ihn blutend und hilflos um sein Leben bettelnd: »Als er mich sah, dachte er, dass ich gekommen war, ihn zu töten. Flehentlich gestikulierte er mit dem Zeigefinger in meine Richtung. Ich blieb ehrfürchtig stehen und fragte: ›Mein Herr, wer hat Euch das angetan?‹« Damit starb der Falkenfürst.
Seine Untergebenen plünderten seine Habe, als die Leiche noch nicht einmal kalt war, und seine beiden Söhne teilten sich sein Land: Der jüngere, der 28-jährige Nur al-Din, zog seinem Vater den Siegelring vom Finger und übernahm die syrischen Gebiete. Er war talentiert, wenn auch weniger grausam als sein Vater, intensivierte aber den Dschihad gegen die Franken. Entsetzt über den Fall Edessas appellierte Melisende an Papst Eugen III., der daraufhin zum Zweiten Kreuzzug aufrief. [101]
Eleonore von Aquitanien und König Ludwig: Skandal und Niederlage
Dem Aufruf des Papstes folgten Ludwig VII., der fromme junge König von Frankreich, begleitet von seiner Frau Eleonore, Herzogin von Aquitanien, und der deutsche König Konrad III. Aber auf dem Zug durch Anatolien rieben die Türken ihre Armeen völlig auf. Ludwig VII. schaffte es mit knapper Not bis Antiochia; der von verheerenden Kämpfen geprägte Marsch dorthin muss Königin Eleonore, die große Teile ihres Gepäcks – und jeglichen Respekt vor ihrem frommen, unfähigen Ehemann – verlor, in Angst und Schrecken versetzt haben.
Fürst Raimund von Antiochia drängte Ludwig, ihn bei der Einnahme Aleppos zu unterstützen, aber der König war entschlossen, zuerst seine Pilgerfahrt nach Jerusalem fortzusetzen. Der weltlich gesinnte Fürst Raimund war Eleonores Onkel und überaus gutaussehend. Nach der elenden Reise missachtete Eleonore ihre Ehegelübde, und nahm, »ihrer königlichen Würde uneingedenk, wenig Rücksicht auf ihre Frauenehre«, wie Wilhelm von Tyrus schreibt. Ihr Mann war ihr ergeben wie ein Hündchen, hielt aber Sinnlichkeit selbst in der Ehe für sündhaft. Kein Wunder, dass Eleonore von ihm sagte, er sei mehr Mönch als Mann. Die hochintelligente, dunkelhaarige, dunkeläugige und kurvenreiche Eleonore war die reichste Erbin Europas und am sinnenfreudigen Hof von Aquitanien aufgewachsen. Geistliche Chronisten behaupteten, in ihren Adern sei das Blut der Sünde geflossen, denn ihr Großvater war Wilhelm der Troubadour, ein promiskuöser Krieger und Poet, und ihre Großmutter seine Mätresse mit dem Spitznamen »La Dangereuse«. Der Troubadour hatte sich ungehinderten Zugang zu La Dangereuse verschafft, indem er seinen Sohn mit ihrer Tochter verheiratet hatte.
Ob nun Eleonore und Raimund Ehebruch begingen oder nicht, war ihr Verhalten zumindest provozierend genug, den Ehemann zu demütigen und einen internationalen Skandal auszulösen. Der König von Frankreich löste seine Eheprobleme, indem er Eleonore kurzerhand entführte und nach Jerusalem weiterzog, wo der deutsche
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