Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Antiochia angriff. Während der König wieder in den Norden zog, marschierte die Dynastie der Ortuqiden, die Jerusalem von 1086 bis 1098 beherrscht hatte, von ihrem irakischen Stammland gegen die heilige Stadt und sammelte ihre Truppen auf dem Ölberg, aber die Jerusalemer unternahmen einen Ausfall und massakrierten sie auf der Straße nach Jericho. Mit gestärkter Kampfmoral führte Balduin sein Heer und das Wahre Kreuz nach Askalon, das nach langer Belagerung schließlich fiel. Aber im Norden unterlag Damaskus letztlich Nur al-Din, der damit Syrien und den Ostirak beherrschte.
Nur al-Din war »braunhäutig, hoch gewachsen, bartlos außer am Kinn, mit breiter Stirn, einem schönen Gesicht und angenehmen Augen« und konnte ebenso grausam sein wie Zengi, war allerdings maßvoller und subtiler. Selbst die Kreuzfahrer nannten ihn tapfer und klug. Bei seinen Höflingen, zu denen inzwischen auch der wetterwendische Usama ibn Munqidh gehörte, war er beliebt. Nur al-Din war so vernarrt in das Polospiel, dass er es sogar abends bei Kerzenschein spielte. Er kanalisierte die islamische Wut über die fränkische Eroberung so, dass die Sunniten wieder erstarkten und zu neuem militärischem Selbstbewusstsein fanden. Eine Welle von Lobschriften auf Jerusalem, fadail , förderte Nur al-Dins Dschihad mit dem Ziel, »Jerusalem von der Verunreinigung durch das Kreuz zu säubern« – eine Ironie, da die Kreuzfahrer die Muslime einst als »Beschmutzer des Heiligen Grabes« bezeichnet hatten. Nachdem er die Stadt erobert hatte, ließ er eine kunstvoll geschnitzte Kanzel, Minbar, für die al-Aqsa-Moschee anfertigen.
Zwischen Balduin und Nur al-Din herrschte nun ein Patt. Daher einigten sie sich auf eine Waffenruhe, die der König nutzte, um Unterstützung in Byzanz zu suchen: Er heiratete die Nichte Kaiser Manuels, Theodora. Bei der Hochzeit und Krönung in der Kirche brachte das Geschmeide der Braut aus »Gold, Edelsteinen, Kleidern und Perlen« den exotischen Glanz Konstantinopels nach Jerusalem. Die Ehe war noch kinderlos, als Balduin in Antiochia vermutlich an Ruhr erkrankte und wenige Wochen später am 10. Februar 1162 starb.
Ein Leichenzug brachte ihn »unter allgemeinem Weinen und Klagen« nach Jerusalem. Da die Könige von Jerusalem wie die anderen alteingesessenen Kreuzfahrerfamilien mittlerweile als levantinische Adelige galten, »stiegen eine Menge von Gläubigen von den Bergen herab, und zogen jammernd und heulend vor der Leiche her«, wie Wilhelm von Tyrus schreibt. Selbst Nur al-Din sagte, die Franken »haben einen Fürsten verloren, wie die Welt jetzt keinen andern hat«. [103]
Amalrich und Agnes: »Keine Königin für eine so heilige Stadt wie Jerusalem«
Der schlechte Ruf einer Frau hätte beinahe die reguläre Thronfolge in Jerusalem gefährdet. Rechtmäßiger Erbe war Balduins Bruder Amalrich, Graf von Jaffa und Askalon, aber der Patriarch verweigerte ihm die Krönung, falls er seine Ehe mit Agnes nicht mit der Begründung annullieren ließe, dass sie zu eng miteinander verwandt seien (sie war seine Cousine dritten Grades) – obwohl sie bereits einen gemeinsamen Sohn hatten. Das eigentliche Problem war jedoch, dass sie »keine Königin für eine so heilige Stadt wie Jerusalem« war, wie ein kleinlicher Chronist anmerkte. Agnes stand im schlechten Ruf der Promiskuität, ob sie ihn allerdings verdiente, ist unmöglich festzustellen, da die Historiker alle stark voreingenommen gegen sie waren. Jedenfalls war sie heiß begehrt, und zu ihren Liebhabern zählten zu unterschiedlichen Zeiten angeblich der Seneschall, der Patriarch und vier Ehemänner.
Pflichtschuldig trennte Amalrich sich von ihr und wurde mit 27 Jahren gekrönt. Er war ohnehin schon etwas linkisch, stammelte, lachte gurgelnd und wurde bald »ungemein dick mit Brüsten, die wie bei einer Frau bis auf die Taille hingen«. Die Jerusalemer machten sich auf der Straße über ihn lustig, was er ignorierte, »als habe er nichts gehört«. Er war ein kluger Kopf und tapferer Krieger, der sich nun mit der größten strategischen Herausforderung seit Bestehen des Königreichs konfrontiert sah. Syrien war an Nur al-Din verloren, aber die Eroberung Askalons durch Balduin III. hatte das Tor nach Ägypten geöffnet. Um für diese erstrangige Beute den Kampf mit Nur al-Din aufnehmen zu können, brauchte Amalrich alle Kraft und personelle Unterstützung.
Das war einer der Gründe, weshalb er den berüchtigtsten Schurken seiner Zeit in Jerusalem willkommen hieß,
Weitere Kostenlose Bücher