Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
und die meisten Besucher wurden in den Klöstern beherbergt, von denen das armenische Kloster mit seinen eleganten, großzügigen Innenhöfen das angenehmste Quartier bot. Doch 1843 hatte ein russischer Jude namens Menachem Mendel mit dem Kaminitz das erste Hotel der Stadt eingerichtet, und bald darauf hatte das Englische Hotel seine Pforten geöffnet. Die sephardische Familie Valero hatte 1848 dann in einem Zimmer im ersten Stock eines Hauses in der Nähe der Davidstraße die erste europäische Bank eröffnet. Jerusalem war immer noch eine osmanische Provinzstadt, regiert von einem heruntergekommenen Pascha, der in einem maroden Serail – Wohnung, Harem und Gefängnis in einem – nördlich des Tempelberges residierte. [198] Westliche Besucher »staunten über den verwahrlosten Zustand des Gebäudes«, schrieb Finn, und sie fühlten sich abgestoßen von den schmuddeligen Konkubinen und »zerlumpten Beamten«. Wenn Besucher mit dem Pascha beim Kaffee zusammensaßen, drang das Kettenklirren der Gefangenen und das Stöhnen der Gefolterten aus den Kellerverliesen zu ihnen herauf.
Während des Krieges bemühte sich der Pascha, in Jerusalem für Ruhe zu sorgen, doch die griechisch-orthodoxen Mönche griffen den neu ernannten katholischen Patriarchen an und trieben Kamele in seine Residenz – sehr zur Erheiterung der namhaften Schriftsteller, die nach Jerusalem gekommen waren, um sich die Heiligtümer anzusehen, für die so viele Soldaten in den zermürbenden Schlachten und in den stinkenden Hospitälern auf der Krim ihr Leben ließen. Sie waren nicht beeindruckt.
Die Schriftsteller: Melville, Flaubert, Thackeray
Herman Melville hatte sich, inzwischen 37 Jahre alt, einen Namen mit drei Romanen gemacht, die alle um seine atemberaubenden Walfangabenteuer im Pazifik kreisten, aber von dem 1851 veröffentlichten Roman Moby Dick waren nur 3000 Exemplare verkauft worden. Ähnlich wie Gogol vor ihm kam er in schwermütiger und bedrückter Stimmung nach Jerusalem, wo er sich gesundheitlich erholen und das Wesen Gottes ergründen wollte. »Meine Absicht – meinen Geist mit der Atmosphäre Jerusalems zu sättigen und mich diesen gespenstischen Eindrücken ganz und gar hinzugeben«, notierte er in seinem Tagebuch. Er fühlte sich inspiriert von diesem »Wrack« von einer Stadt, von ihrer »nackten Trostlosigkeit« und schrieb später während seiner Zeit als Zollinspektor das Gedichtepos Clarel – mit 18 000 Zeilen das längste amerikanische Gedicht –, das auf seinen Eindrücken in Jerusalem basierte.
Melville war nicht der einzige Schriftsteller, der nach literarischen Enttäuschungen Trost und Halt im Orient suchte: In Begleitung seines wohlhabenden Freundes Maxime du Camp und mit finanzieller Unterstützung der französischen Regierung, für die er einen Bericht über Handel und Landwirtschaft anfertigen sollte, unternahm Gustave Flaubert eine kulturelle und erotische Reise, auf der er Abstand von der Reaktion auf seinen ersten veröffentlichten Roman gewinnen wollte. Er sah Jerusalem als »ein von Mauern umgebenes Leichenhaus, wo die alten Religionen in der Sonne verrotten«. Von der Kirche »wäre ein Hund stärker beeindruckt als ich. Die Armenier verfluchen die Griechisch-Orthodoxen, die Griechisch-Orthodoxen die römischen Christen und diese wiederum exkommunizieren die Kopten.« Und Melville stimmte in den Chor ein. Für ihn war die Kirche »ein halb eingestürzter Haufen fauliger Grotten, die wie der Tod riechen«, wobei ihm bewusst war, dass in der »überfüllten Nachrichtenzentrale und im theologischen Börsensaal Jerusalems« Kriege ihren Anfang nahmen. [199]
Das Gezänk unter den Mönchen war nicht die einzige Quelle der Gewalttätigkeiten im Hexenkessel Jerusalem. Die Spannungen zwischen den neuen Besuchern – angloamerikanischen Evangelikalen, russischen Juden und orthodoxen Bauern – einerseits und den alteingesessenen Bewohnern – Osmanen, arabischen Familien, sephardischen Juden, Beduinen und Fellachen – andererseits führten zu einer Reihe von Morden. Eine der Damen aus James Finns evangelikaler Gemeinde, Mathilda Creasy, wurde eines Tages mit eingeschlagenem Schädel aufgefunden, ein erstochener Jude wurde in einem Brunnen entdeckt. Der Giftmord an dem reichen Rabbi David Herrschel zog einen aufsehenerregenden Prozess nach sich, doch die Angeklagten, seine eigenen Enkelsöhne, mussten wegen Mangels an Beweisen freigesprochen werden. Da der britische Konsul James Finn in einer Zeit, in der die
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