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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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Freiheiten zu gewähren, die sie vorher im Traum nicht für möglich gehalten hätten. Er übergab die St.-Anna-Kirche, die Kreuzfahrerkirche, die Sultan Saladin zu seiner Koranschule gemacht hatte, an Napoleon III. Im März 1855 durfte der Herzog von Brabant, der später als König Leopold II. den belgischen Thron besteigen und den Kongo ausplündern sollte, als erster Europäer den Tempelberg besuchen: Die dortigen Wachposten, keulenschwingende Sudanesen aus Darfur, wurden aus Angst, sie könnten den Ungläubigen angreifen, in ihren Quartieren eingeschlossen. Im Juni traf Erzherzog Maximilian, glückloser Kaiser von Mexiko, in Begleitung der Offiziere seines Flaggschiffs ein. In der Folge brach in Jerusalem ein regelrechter Bauboom aus, als Europäer sich gegenseitig mit immer bombastischeren christlichen Gebäuden im Kolonialstil zu übertrumpfen suchten. Die osmanische Führung war besorgt, und es sollte später zu einer gewalttätigen Reaktion seitens der Muslime kommen, aber der Westen hatte so viel in den Krimkrieg investiert, dass er jetzt nicht darauf verzichten wollte, in Jerusalem die Früchte zu ernten.
    In den letzten Monaten des Krimkrieges hatte Moses Montefiore die Schienen und die Züge der Balaklawa-Bahn gekauft, die eigens zur Sicherung des Nachschubs für die britischen Truppen auf der Krim gebaut worden war. Er wollte damit eine Eisenbahnverbindung zwischen Jaffa und Jerusalem schaffen. Nun kehrte er, nach dem Krimsieg ausgestattet mit dem Ansehen und der Macht eines britischen Plutokraten, als Garant für eine bessere Zukunft in die Stadt zurück. [151]

38
    Die neue Stadt
    1855 – 1860
    Moses Montefiore: »dieser Krösus«
    Am 15. Juli 1855 zerriss Montefiore beim Anblick des verlorenen Tempels zum Zeichen seiner Trauer seine Kleider, dann schlug er sein Lager vor dem Jaffator auf, wo er von einer tausendköpfigen Menge mit Jubel und Freudenschüssen begrüßt wurde. James Finn, dessen Missionierungspläne er wiederholt durchkreuzt hatte, versuchte seinen offiziellen Empfang zu verhindern, doch der liberal gesinnte Gouverneur Kiamil Pascha schickte ihm eine Ehrenwache zum militärischen Gruß. Als Montefiore als erster Jude den Tempelberg besuchen durfte, ließ ihn der Pascha von hundert Soldaten eskortieren – und er wurde in einer Sänfte getragen, damit er nicht gegen das Gesetz verstieß, das es Juden verbot, einen Fuß auf das heiligste aller Heiligtümer zu setzen. Mit seinem erklärten Lebensziel, den Juden Jerusalems zu helfen, hatte er sich keine leichte Aufgabe vorgenommen: Viele jüdische Bewohner der Stadt lebten von der Wohlfahrt und waren so wütend, als er versuchte, ihnen seine Almosen zu entziehen, dass sie randalierend zu seinem Lager zogen. »Wenn das so weitergeht«, schrieb seine Nichte Jemima Sebag, die zum Tross seiner Begleiter gehörte, »werden wir in unseren Zelten kaum sicher sein!« Auch andere Projekte entwickelten sich nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte: Beispielsweise wurde die geplante Eisenbahnverbindung zwischen Jaffa und Jerusalem nie gebaut. Aber die jetzige Reise sollte sich als schicksalhaft für Jerusalem erweisen. Er hatte beim Sultan die Erlaubnis erwirkt, die 1720 zerstörte Hurva-Synagoge wiederaufzubauen und, wichtiger noch, in Jerusalem Land für die Ansiedelung von Juden zu kaufen. Mit anderen finanzierte er den Wiederaufbau der Synagoge und sah sich nach einem zum Kauf geeigneten Grundstück um.
    In Melvilles Beschreibung war Moses Montefiore »dieser Krösus, ein riesiger Mann von 75 Jahren; er wurde in einer von Maultieren getragenen Sänfte von Jaffa nach Jerusalem geschafft.« Er war fast zwei Meter groß und noch nicht ganz 75 Jahre alt, aber eigentlich zu alt für eine solche Reise. Er hatte schon bei seinen drei vorangegangenen Aufenthalten in Jerusalem seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt, und seine Ärzte hatten ihm davon abgeraten, eine weitere Reise dorthin zu unternehmen – »er hatte ein schwaches Herz und es war Gift in seinem Blut« –, aber er machte sich des ungeachtet zusammen mit Judith auf den Weg, begleitet von einer Schar von Angestellten und Bediensteten. Sogar seinen eigenen Koscher-Metzger brachte er mit.
    Für die Juden in Jerusalem und in der Diaspora war Montefiore damals schon eine Legende; er vereinte in sich das Ansehen eines wohlhabenden viktorianischen Baronets in der Blütezeit des britischen Kolonialreichs und die Würde eines philanthropischen Juden, der sich unermüdlich für seine Brüder einsetzte

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