Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Mitglieder oft eine Kombination aus allen oben beschriebenen Kleidungsstücken zur Schau trugen – Turban oder Fes, dazu ein langes, mit einer Schärpe gebundenes Gewand, weite türkische Hosen und über alledem noch ein schwarzes Jackett westlicher Machart. Die Araber sprachen Türkisch und Arabisch, die Armenier Armenisch, Türkisch und Arabisch, die sephardischen Juden Ladino, Türkisch und Arabisch, und die Chassidim bedienten sich des Jiddischen, jenes mitteleuropäischen deutsch-hebräischen Sprachgemischs, das seine eigene große Literatur hervorgebracht hat.
Auch wenn das alles einem Außenstehenden chaotisch erscheinen mag, gab es doch eine feste Rangordnung in dem sunnitischen Reich, das vom Sultan-Kalifen regiert wurde: Die Muslime standen an der Spitze der Hierarchie, die Türken waren die herrschende Schicht, dann folgten die Araber. Die polnischen Juden, die wegen ihrer Armut, ihres »Klagegeschreis« und ihrer ekstatischen Art zu beten verspottet wurden, standen am unteren Ende der Stufenleiter. Aber dazwischen vermischten sich die Kulturen ungeachtet der strengen Vorschriften, die von den einzelnen Religionen vorgegeben waren.
Am Ende des Ramadan feierten alle Glaubensgemeinschaften das Fastenbrechen mit einem großen Fest und einem Markt mit Karussell, Pferderennen, erotischen Guckkastendarbietungen und Verkaufsständen, an denen türkischer Honig, Baklava und andere arabische Süßigkeiten angeboten wurden. Während des jüdischen Purimfestes verkleideten sich Muslime und christliche Araber nach altem jüdischen Brauch mit Kostümen und Masken und trafen sich mit den jüdischen Bewohnern der Stadt zum Picknick am Grab Simons des Gerechten nördlich des Damaskustores. Juden schenkten ihren arabischen Nachbarn Matzen und luden sie zum traditionellen Sederessen ein, wofür sich diese revanchierten, indem sie den Juden am Ende des Passahfestes frisch gebackenes Brot brachten. Oft wurden muslimische Knaben von einem jüdischen Mohel beschnitten, und Juden veranstalteten Feste, um ihre muslimischen Freunde willkommen zu heißen, wenn sie vom Hadsch zurückkehrten. Am engsten waren die Beziehungen zwischen Arabern und sephardischen Juden. Bei den Arabern hießen die Sephardim Yahud, awlad Arab, »Juden, Söhne der Araber«, arabische Juden und muslimische Frauen lernten manchmal sogar Ladino. In Zeiten langer Trockenheit wurden die sephardischen Rabbis von den Ulama ersucht, für Regen zu beten. Die arabischsprachige sephardische Bankiersfamilie Valero unterhielt Geschäftsbeziehungen zu vielen der führenden muslimischen Familien. Seltsamerweise waren vor allem die arabischen orthodoxen Christen den Juden feindlich gesinnt, beleidigten sie in ihren traditionellen Ostergesängen und verprügelten sie, wenn sie der Grabeskirche zu nah kamen.
Im Baedeker wurden Reisende zwar informiert, dass es »in Jerusalem keine Plätze für öffentliche Vergnügungen« gebe, aber es war eine Stadt der Musik und der Tänze. Die Einwohner trafen sich in den Kaffeehäusern, um Wasserpfeifen zu rauchen, Backgammon zu spielen oder sich Ringkämpfe oder Bauchtänze anzuschauen. Auf Hochzeiten und bei anderen Festen tanzten die Leute die Dabke, einen traditionellen Reihentanz, während Sänger schnulzige Liebeslieder zum Besten gaben. Arabische Liebeslieder wurden im Wechsel mit den andalusischen Ladino-Liedern der Sephardim gesungen. Derwische praktizierten den Dhikr unter wilden Tänzen zu den Rhythmen von Schellentrommeln und Zimbeln. In Privathäusern spielten jüdisch-arabische Musikgruppen, ihre Instrumente waren Kurzhalslauten (Oud), zweisaitige Streichinstrumente (Rababa), Doppelklarinetten (Zummara und Arghul) und Kesseltrommeln (Naqqara). Die Klänge dieser Instrumente hallten durch die sechs Hamame der Stadt, die eine zentrale Rolle im gesellschaftlichen Leben Jerusalems spielten. Die Männer ließen sich in den Badehäusern, die sie zwischen zwei Uhr morgens und zwölf Uhr mittags besuchten, massieren und die Bärte trimmen, die Frauen färbten sich die Haare mit Henna und tranken Kaffee. Junge Frauen wurden vor der Hochzeit von ihren Freundinnen unter Singen und Tanzen in den Hamam geführt, wo ihnen alles Körperhaar mit Hilfe einer zähen, wachsartigen Masse entfernt wurde. Das Hochzeitsfest selbst wurde mit einem Besuch der Männer im Bad eingeleitet, anschließend holte der Bräutigam die Braut von zu Hause ab, und wenn es sich um eine Hochzeit der führenden Familien handelte, zog das Brautpaar unter einem
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