Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
Vom Netzwerk:
Stadtmauer zwischen Jaffa- und Ziontor lag. Montefiore ließ seine Zelte umgehend auf dem neu erworbenen Land aufschlagen, wo er die Einrichtung eines Krankenhauses plante und darüber hinaus eine Windmühle bauen wollte, damit die Juden ihr eigenes Brot backen konnten. Vor seiner Abreise bat er den Pascha um einen besonderen Gefallen: Der Gestank im jüdischen Viertel, dessen Erwähnung in keinem Reisebericht ausgelassen wurde, rührte von einem muslimischen Schlachthof her, dessen bloße Existenz an diesem Ort ein Zeichen des niedrigen Standes der Juden war. Montefiore bat darum, man möge ihn an einen anderen Ort verlegen, und der Pascha willigte ein.
    Im Juni 1857 stattete Montefiore Jerusalem einen fünften Besuch ab und brachte diesmal die Baumaterialien für die Windmühle mit. Die Arbeiten daran wurden im Jahr 1859 aufgenommen. Statt des ursprünglich geplanten Krankenhauses ließ er für arme jüdische Familien Wohnhäuser bauen, die mit ihren Zinnen so unverwechselbar viktorianisch waren wie ein auf mittelalterlich getrimmtes Klubhaus in der Umgebung irgendeiner englischen Stadt. Auf Hebräisch hießen die Häuser Mishkenot Schaanim – Wohnstätten der Freude –, aber sie wurden oft zum Ziel von Plünderungen, und die Bewohner hatten so wenig Freude daran, dass sie sich zum Schlafen immer wieder heimlich in die Stadt zurückschlichen. In der Windmühle wurde anfangs preiswertes Brot gebacken, aber sie musste den Betrieb bald wieder einstellen, weil sowohl der judäische Wind als auch die englische Wartung fehlten.
    Christliche Evangelikale und jüdische Rabbis träumten von der Rückkehr der Juden ins Gelobte Land – und dies war Montefiores Beitrag zur Verwirklichung des Traums. Der gewaltige Reichtum jüdischer Plutokraten wie der Rothschilds förderte den Gedanken, dass, wie Disraeli es zu eben dieser Zeit ausdrückte, »hebräische Kapitalisten« Palästina kaufen könnten. Die Rothschilds, Strippenzieher auf der Bühne der internationalen Politik und Finanzen und in Paris und Wien ebenso einflussreich wie in London, waren nicht sonderlich überzeugt von der Idee, gaben Montefiore aber bereitwillig und großzügig Geld für die Verwirklichung seines Traums von Jerusalem als »Hauptstadt eines jüdischen Reiches«. [203] Einem Vorschlag des osmanischen Gesandten in London folgend, führte Montefiore 1859 Gespräche über die Möglichkeit, Palästina zu kaufen, aber er stand den Plänen skeptisch gegenüber, weil die sich herausbildende jüdische Oberschicht Großbritanniens wenig Interesse dafür zeigte und eher Landsitze erwarb, um hier den englischen Traum zu leben. Letztendlich war Montefiore ohnehin überzeugt, dass die »Wiedererrichtung eines Volkes der Israeliten« keine Frage politischer Intervention sei, sondern nur durch »göttliches Wirken« erreicht werden könne – doch die Eröffnung der kleinen Montefiore-Siedlung gab das Zeichen zur Entstehung der neuen jüdischen Stadt außerhalb der Mauern des alten Jerusalem. Es war längst nicht das letzte Mal, dass Montefiore Jerusalem besuchte, aber nach dem Krimkrieg rückte die Stadt erneut in den Brennpunkt des Interesses der Romanows und der Hohenzollern, der Habsburger und der britischen Fürsten, die darin wetteiferten, die neue Wissenschaft der Archäologie mit dem alten Spiel der Kolonialreiche zu verbinden. [152]

40
    Stadt der Araber, Stadt der Imperialisten
    1870 – 1880
    Yusuf Khalidi: Musik, Tanz und das tägliche Leben
    Das wirkliche Jerusalem war wie ein Turm zu Babel in modischem Gewand, beherrscht von einem hierarchischen Gemisch der Religionen und Sprachen. Osmanische Offiziere trugen bestickte Jacken zu europäischen Uniformen; osmanische Juden, Armenier und arabische Christen und Muslime kleideten sich in Gehröcke oder weiße Anzüge und trugen eine neuartige Kopfbedeckung, die das reformierte Osmanische Reich repräsentierte: einen Tarbusch oder Fes; die muslimischen Ulama zeigten sich in Turbanen und lockeren Gewändern, die denen der sephardischen Juden und strenggläubigen Araber sehr ähnlich waren; die Chassidim polnischer Herkunft [209] trugen Tuchmäntel und Filzhüte, und die Kawassen – die Leibwächter der europäischen Bewohner – waren oftmals Armenier, die mit scharlachroten Jacken und weißen langen Hosen bekleidet und mit großen Pistolen bewaffnet waren. Barfüßige schwarze Sklaven brachten Sorbets für ihre Herrschaften, die alteingesessenen arabischen und sephardischen Familien, deren männliche

Weitere Kostenlose Bücher