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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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und in seinem Glauben nie wankte. Seinen Einfluss verdankte er der einmaligen Stellung, die er in Großbritannien einnahm: In der alten wie in der neuen Gesellschaft gleichermaßen zu Hause, verkehrte er ebenso selbstverständlich mit Fürsten, Premierministern und Bischöfen wie mit Rabbis und Bankiers. In einer Zeit, in der Anstand und Sittsamkeit und der schwärmerische Hebraismus der Evangelikalen die gesellschaftlichen Werte Englands prägten, verkörperte Montefiore genau das, was ein Jude in der viktorianischen Vorstellung sein sollte: »Der große alte Hebräer«, schrieb Lord Shaftesbury, »ist besser als so mancher Christ.«
    Moses Montefiore war im italienischen Livorno geboren, verdiente sein Vermögen aber als einer der autorisierten jüdischen Händler an der Londoner Börse. Seinem beruflichen Erfolg durchaus zuträglich war seine glückliche Ehe mit Judith Cohen, deren Schwester mit dem Bankier Nathan Meyer Rothschild verheiratet war. Seinen gesellschaftlichen Aufstieg und seinen Reichtum sah er als Verpflichtung, anderen zu helfen. Als er 1837 von Königin Victoria geadelt wurde, nannte sie ihn in ihrem Tagebuch einen »Juden, einen vortrefflichen Mann«, während er seinerseits in seinem Tagebuch die Hoffnung äußerte, die Ehrung möge »den Juden insgesamt in der Zukunft zum Vorteil gereichen. Abgesehen davon hatte ich das Vergnügen, meine Flagge mit dem Jerusalem-Schriftzug stolz im Saal aufgezogen zu sehen.« Als er glaubte, genügend Reichtümer angesammelt zu haben, zog er sich weitgehend aus dem Geschäftsleben zurück und setzte sich, oft gemeinsam mit seinem Schwager und dessen Sohn Lionel, für die politischen Rechte der britischen Juden ein. [201] Aber am dringendsten wurde er im Ausland gebraucht, wo er von Kaisern und Sultanen wie ein britischer Gesandter empfangen wurde und sich oft unter Gefahr für sein eigenes Leben mit Mut und Erfindungsreichtum für andere einsetzte. Berühmt wurde er, wie wir an früherer Stelle gesehen haben, durch seinen diplomatischen Erfolg im Fall der Damaszener Blutanklage.
    Montefiore nötigte selbst den eingefleischtesten Antisemiten Bewunderung ab: Als Nikolaus I. im Zuge seiner autokratischen Bemühungen und der Förderung der Orthodoxie Millionen von Juden im Land zu unterdrücken begann, reiste Montefiore nach Sankt Petersburg, um den Kaiser von der Ehrbarkeit, Loyalität und Tapferkeit seiner jüdischen Untertanen zu überzeugen, worauf dieser mit hintergründiger Höflichkeit entgegnete: »Wenn sie Ihnen ähnlich sind.« [202] Doch Montefiore ließ sich von nichts und niemandem ins Bockshorn jagen. Als er einmal nach Rom reiste, um in einer judenfeindlichen Intrige zu intervenieren, wurde er von einem Kardinal gefragt, wie viel Gold der Rothschilds er ausgegeben habe, um den Erlass des Sultans zur »Blutanklage« zu erkaufen. »Nicht so viel, wie ich Ihrem Lakaien dafür gegeben habe, dass er meinen Mantel in Ihrer Diele aufgehängt hat«, erwiderte Montefiore.
    Seine Vertraute bei allen seinen Unternehmungen war seine temperamentvolle Frau Judith, die ihn »Monty« zu nennen pflegte. Den beiden war es zu ihrem Leidwesen nicht beschieden, eine Dynastie zu gründen: Trotz ihrer Gebete an Rachels Grab blieben sie kinderlos. Doch abgesehen von seinem jüdischen Glauben und dem Bekenntnis zu Jerusalem in seinem Familienwappen hatte Montefiore alle Tugenden und Fehler eines typischen viktorianischen Adeligen. Er besaß einen Herrensitz an der Londoner Park Lane und ein Landhaus in neugotischem Stil in Ramsgate, wo er eine eigene Synagoge sowie ein einzigartiges, wenn auch etwas bombastisches Mausoleum bauen ließ, das eine exakte Nachahmung von Rachels Grab war. Wenn er sprach, schlug er einen behäbigen und gewichtigen Ton an, in seiner Selbstgerechtigkeit blitzte selten ein Funken Humor auf, seine Gutsherrenart war von einer gewissen Eitelkeit geprägt, und hinter den Kulissen gab es Geliebte und uneheliche Kinder. Tatsächlich hat ein Biograph kürzlich enthüllt, dass er als über Achtzigjähriger ein Kind mit einem jugendlichen Dienstmädchen zeugte, auch das ein Zeichen seiner unbändigen Energie.
    Bei seiner Suche nach geeignetem Grund und Boden in Jerusalem wurde Montefiore von den Jerusalemer Familien unterstützt, mit denen er sich angefreundet hatte: Selbst der Kadi bezeichnete ihn als »Stolz des Volkes Mose«. Ahmad Agha Duzdar, den er seit 20 Jahren kannte, verkaufte ihm für 1000 englische Souvereigns ein Grundstück, das außerhalb der

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