Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
und 200 Beduinen im heutigen Jordanien ein – das auf dem Papier zum britischen Mandatsgebiet gehörte, um sich sein eigenes mickriges Lehen zu sichern – wobei Lord Curzon meinte, er sei »ein viel zu großer Gockel für einen so kleinen Misthaufen«. Die Nachricht von diesem Husarenstück stellte Churchill vor eine vollendete Tatsache. Lawrence riet Churchill, Abdullah Rückendeckung zu geben. Churchill schickte Lawrence los, um den Prinzen zu einer Unterredung nach Jerusalem zu bitten.
In der Nacht zum 23. März bestiegen Churchill und seine Frau Clementine punkt Mitternacht den Zug nach Jerusalem. In Gaza wurden sie von einer jubelnden Menge begrüßt, aus der Rufe wie »Ein Hoch auf den Minister« und »Nieder mit den Juden! Schneidet ihnen die Kehle durch!« erschallten. Churchill verstand kein Wort und winkte den Leuten in ahnungslosem Wohlwollen zu.
In Jerusalem kam er bei Samuel im Auguste-Viktoria-Hospiz unter, wo er viermal mit dem »gemäßigten und freundlichen« Abdullah zusammentraf, der in Begleitung von Lawrence auftrat. Abdullah, hoffnungsfroher Besatzer von Jordanien und potentieller Anwärter auf ein haschemitisches Königreich, sah ein friedliches Miteinander von Juden und Arabern am ehesten in einem unter seiner Regentschaft vereinten Königreich gewährleistet, dem Syrien später angegliedert werden sollte. Churchill bot ihm Transjordanien an, sofern er das französische Mandat in Syrien und das britische in Palästina anerkennen würde. Widerstrebend willigte Abdullah ein, und schon war ein neues Land geschaffen: »Amir Abdullah regiert in Transjordanien«, erinnerte sich Churchill, »wo ich ihn eines Sonntags in Jerusalem eingesetzt habe.« Lawrences Mission war nun, da er Faisal und Abdullah glücklich zu ihren Königreichen geleitet hatte, erfüllt. [250]
Die palästinensischen Araber trugen Churchill, ganz im Ton der gefälschten Protokolle von Zion , ihre Einwände gegen die jüdische Besiedelung vor: Ein Jude bleibe immer ein Jude, die Juden hätten in vielen Ländern zu den aktivsten Befürwortern der Zerstörung gehört, und die Zionisten würden die Weltherrschaft anstreben. Churchill empfing die Jerusalemer Notabeln, angeführt vom ehemaligen Bürgermeister Musa Kazim al-Husseini, bestand aber auf dem »verbrieften Recht der Juden auf eine nationale Heimstätte«.
Churchill war die Bewunderung für die Juden von seinem Vater [251] eingeimpft worden, und er sah den Zionismus als einen gerechten Ausweg nach zwei Jahrtausenden des Leidens. In der Zeit der Angst vor dem roten Schreckgespenst nach der Gründung der Sowjetunion war der Zionismus für ihn das Gegenmittel gegen das »schändliche Affentheater des Bolschewismus«, einer »jüdischen Bewegung«, die von einem teuflischen Popanz, genannt »der Internationale Jude« angeführt werde.
Churchill liebte Jerusalem, wo, wie er anlässlich der Eröffnung des Militärfriedhofs auf dem Skopusberg erklärte, »der Staub von Kalifen, von Kreuzfahrern und Makkabäern liegt«. Er fühlte sich zum Tempelberg hingezogen, den er besuchte, so oft es ihm möglich war, und den er vermisste, wenn er ihm fern war. Er weilte noch auf dem Ölberg und hielt Hof, als ihn die Nachricht vom überraschenden Tod des Muftis erreichte. Nachdem Storrs den Bürgermeister vom Klan der Husseinis entlassen hatte, schien es nicht ratsam, die Familie ein weiteres Mal vor den Kopf zu stoßen, indem man ihr auch noch das Amt des Muftis entzog. Abgesehen davon fühlten sich die Briten den vornehmen Notabelnfamilien verbunden, weil sie viel mit den aristokratischen Kreisen im eigenen Land gemein hatten. Daher beschlossen Samuel und Storrs, die Ämter des Bürgermeisters und des Muftis unter den beiden mächtigsten Familien aufzuteilen: Kraft ihrer Pfründe würden sie die Montagues und Capulets von Jerusalem sein. [174]
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Die britische Mandatsregierung
1920 – 1936
Mufti gegen Bürgermeister Amin Husseini gegen Ragheb Nashashibi
Der Mann, auf den ihre Wahl für das Bürgermeisteramt fiel, war der Inbegriff eines arabischen Dandys: Ragheb Nashashibi rauchte Zigaretten mit Spitze, trug einen Spazierstock und war der erste Mensch in Jerusalem, der eine amerikanische Limousine besaß, einen grünen Packard, der von einem armenischen Chauffeur gefahren wurde. Der lässig-elegante Mann, Erbe der Orangenwälder und Villen der jüngsten, aber reichsten Notabelnfamilie, [252] sprach fließend Englisch und Französisch, hatte Jerusalem im osmanischen Parlament
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