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Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

Titel: Jerusalem: Die Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Sebag Montefiore
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vertreten und Wasif als Oud-Lehrer für sich und seine Geliebte und als Impresario seiner zahlreichen Feste angestellt. Jetzt, als Bürgermeister, gab er noch zwei Gesellschaften im Jahr: eine für seine Freunde und eine für den Hochkommissar. Einer der aktiven Kämpfer im Widerstand gegen den Zionismus, nahm er seine Rolle als Angehöriger der Jerusalemer Oberschicht und palästinensische Führungspersönlichkeit sehr ernst.
    Der Mann, der als Großmufti ins Auge gefasst wurde, war Nashashibis Cousin Haj Amin Husseini, der während der Nabi-Musa-Unruhen die Massen aufgewiegelt hatte. Als Storrs den jungen Mann mit dem Hochkommissar bekannt machte, war dieser beeindruckt. Husseini war, so erinnerte sich der Neffe des Bürgermeisters Nassereddin Nashashibi, »angenehm, intelligent, gut gekleidet, er hatte ein strahlendes Lächeln, blonde Haare, blaue Augen, einen rötlichen Bart und einen trockenen Humor. Aber wenn er seine Scherze machte, blieben seine Augen kalt.« »Was ist Ihnen lieber«, erkundigte sich Husseini bei Samuel, »ein erklärter Gegner oder ein unsicherer Freund?« »Ein erklärter Gegner«, entgegnete Samuel. Weizmann bemerkte trocken, »wenn man den Bock zum Gärtner« mache, bringe das »nicht immer den gewünschten Erfolg«. Husseini erwies sich, wie der libanesische Historiker Gilbert Achcar es ausdrückte, als ein »Größenwahnsinniger, der sich als Führer der gesamten islamischen Welt präsentierte«.
    Bedauerlicherweise ging Husseini aus dieser ersten Mufti-Wahl aller Zeiten nicht als Sieger hervor; gewählt wurde ein Jarallah. Husseini wurde nur Vierter. Daraufhin setzten sich die Briten, stolz auf ihre »von Wohlwollen gemilderte totalitäre« Entscheidung, über das Wahlergebnis hinweg und übertrugen ihrem Kandidaten das Amt, ungeachtet der Tatsache, dass er erst 26 war und seine religiösen Studien in Kairo nie abgeschlossen hatte. Als nächstes verdoppelte Samuel seinen politischen Einfluss und seine finanziellen Mittel, indem er ihm die Leitung eines neu gegründeten Obersten Muslimischen Rats übertrug.
    Husseini war der islamischen, Nashashibi der osmanischen Tradition zuzurechnen. Beide standen dem Zionismus ablehnend gegenüber, aber Nashashibi war der Meinung, dass die Araber vor dem Hintergrund der britischen Mandatsmacht verhandeln sollten. Husseini hingegen war ein radikaler und kompromissloser Nationalist. Anfangs zeigte sich Husseini nach außen als passiver Verbündeter der Briten, aber am Ende ging er weit über die britenfeindliche Haltung der meisten Araber hinaus und wurde zum fanatischen Antisemiten und Befürworter der »Endlösung« der Nationalsozialisten. Damit hatte Samuel den erbittertsten Feind des Zionismus und des britischen Kolonialreichs auf den einflussreichsten Posten in Palästina gesetzt. Man könnte allerdings behaupten, dass keiner der Sache seines eigenen Volkes so sehr geschadet und dem Kampf der Zionisten so viel genützt hat wie gerade dieser Mann. [175]
    Der Mufti: Die Schlacht an der Mauer
    Die erste Generation britischer Statthalter beglückwünschte sich dazu, Jerusalem befriedet zu haben. Im Juni 1925 kehrte Samuel nach London zurück und erklärte im Brustton der Überzeugung den »gesetzlosen Zustand« für beendet. Ein Jahr später kehrte Storrs einem friedlichen und beträchtlich verschönerten Jerusalem den Rücken und wurde zum Gouverneur von Zypern und später von Nordrhodesien befördert – was er seufzend mit den Worten kommentierte: »Nach Jerusalem gibt es keine Beförderung.« Der neue Hochkommissar war Victor Plummer, ein Feldmarschall mit Walrossbart, der den Spitznamen Old Plum, »Alte Pflaume«, trug. Da die für das Amt zur Verfügung stehenden Mittel gekürzt worden waren, musste Old Plum mit weniger Soldaten auskommen als Samuel, doch er verbreitete ein Gefühl der Zuversicht, wenn er fröhlich ohne Begleitung in Jerusalem herumwanderte. Als seine Mitarbeiter ihn darauf hinwiesen, dass die politische Lage angespannt sei, steckte er den Kopf in den Sand. »Es gibt keine politische Lage«, beschied er die Mahner. »Und ich möchte auch nicht, dass Sie eine schaffen!«
    Old Plum trat aus Gesundheitsgründen von seinem Amt zurück, und sein Nachfolger war noch nicht in Jerusalem eingetroffen, als die »politische Lage« wie gerufen in Erscheinung trat. Am Abend vor dem Versöhnungstag 1928 stellte ein jüdischer Schames – Gemeindediener – mit dem klingenden Namen William Ewart Gladstone Noah an der Klagemauer einen kleinen

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