Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
und es kam zu etlichen Vergewaltigungen. Unterdessen versuchten die Briten die Zeremonie des heiligen Feuers in geordnete Bahnen zu lenken, aber als ein Syrer einen koptischen Stuhl verrückte, »brach die Hölle los« und in der nachfolgenden Schlägerei gingen die Türen der Kirche in Flammen auf. In dem Augenblick, als die britischen Regierungsvertreter die Grabeskirche verließen, stürzte ein kleines Arabermädchen, von einem Querschläger getroffen, aus dem Fenster eines nahe gelegenen Hauses.
Zwei von Jabotinskys Männern versteckten ihre Pistolen unter Ärztekitteln und fuhren in einem Krankenwagen in die Altstadt, um die Verteidigung zu organisieren. Der eine von ihnen, ein in der Ukraine geborener Russe namens Rubitzov, war von Ben-Gurion für die Jüdische Legion rekrutiert worden und hatte sich daraufhin den Namen Rabin zugelegt. Nun begegnete er, während er die verängstigten Juden zu beruhigen versuchte, der temperamentvollen ehemaligen Bolschewikin Rosa Cohen, genannt rote Rosa, rettete sie und verliebte sich in sie. »Ich bin in Jerusalem geboren«, sagte ihr Sohn Jitzchak, der viele Jahre später als Stabschef Jerusalem einnehmen sollte. [172]
Herbert Samuel: ein Palästina, vollständig
Als die Unruhen endlich abebbten, waren fünf Juden und vier Araber tot, 216 Juden und 23 Araber verwundet. Neununddreißig Juden und 161 Araber wurden wegen ihrer Beteiligung an den Unruhen vor Gericht gestellt. Storrs ordnete Hausdurchsuchungen bei Weizmann und Jabotinsky an: Bei Jabotinsky wurden Waffen gefunden, und er wurde zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Amin Husseini – in Storrs’ Augen der »Hauptanstifter« der Unruhen – wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, entzog sich seiner Strafe aber durch die Flucht. Storrs entließ Musa Kazem Husseini aus dem Bürgermeisteramt, obwohl die Briten in ihrer Naivität Bolschewiken aus Russland für die Ausschreitungen verantwortlich machten.
Der Liberale Weizmann und der Sozialist Ben-Gurion hofften weiterhin, dass sich eine Heimstätte für die Juden entwickeln und ein Modus Vivendi mit den Arabern finden würde. Vom arabischen Nationalismus wollte Ben-Gurion nichts wissen. Er wünschte sich, dass arabische und jüdische Proletarier »in Eintracht und Freundschaft miteinander leben« könnten. Aber manchmal verlor auch er den Mut und seufzte resigniert: »Es gibt keine Lösung! Wir wollen, dass das Land uns gehört. Die Araber wollen, dass es ihnen gehört.« Die Zionisten begannen nun, die zionistische Vereinigung Haschomer (die Wächter) in eine effizientere paramilitärische Organisation, die Haganah (die Verteidigung), umzuformen.
Jeder Gewaltakt schürte den Extremismus auf beiden Seiten. Jabotinsky erkannte ganz klar, dass der arabische Nationalismus genauso real war wie der Zionismus. Er war der Meinung, dass ein jüdischer Staat, der in seiner Vorstellung die Gebiete diesseits und jenseits des Jordan umfassen musste, mit allen Mitteln bekämpft würde und nur durch eine »eiserne Mauer« geschützt werden könne. Mitte der 1920er Jahre trennte sich Jabotinsky von der Zionistischen Organisation und gründete die Weltunion der Zionistischen Revisionisten und deren Jugendbewegung Betar, deren Mitglieder Uniformen trugen und Militärparaden veranstalteten. Er war das höfliche Taktieren von Leuten wie Weizmann leid und strebte eine neue, kämpferische Art der zionistischen Agitation an. Dabei ging er von der festen Überzeugung aus, dass in seiner jüdischen Nationengemeinschaft beide Völker »absolut gleichberechtigt« sein würden und es keine Vertreibung der Araber geben werde. Als Benito Mussolini 1922 an die Macht kam, machte sich Jabotinsky über den »Führerkult« um den Duce lustig – »das absurdeste aller Worte – Führer. Eine Büffelherde folgt einem Führer, zivilisierte Menschen haben keine ›Führer‹.« Weizmann nannte Jabotinsky allerdings einen »Faschisten«, und Ben-Gurion gab ihm gar den Spitznamen »Il Duce«.
Die Entschlossenheit, mit der die Franzosen ihre Besitzansprüche im Nahen Osten verfolgten, machte alle Hoffnungen der arabischen Nationalisten zunichte. König Faisal wurde abgesetzt, seine zusammengewürfelte kleine Armee zerschlagen. Das war das Aus für die Pläne, die Lawrence entworfen hatte. Das Ende der großsyrischen Träume und die Aufstände trugen zur Entstehung einer nationalen palästinensischen Identität bei. [248]
Am 24. April 1920 nahm Lloyd George auf der Konferenz von San Remo das
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