Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
bekannt war, war das Paradebeispiel eines unbestechlichen amerikanischen Gelehrten im Dienste der Öffentlichkeit. 1914 waren erst 15 000 der drei Millionen amerikanischen Juden in der Zionistischen Vereinigung organisiert, 1917 waren es schon Hunderttausende. Evangelikale Christen rührten die Werbetrommel für den Zionismus, und der ehemalige Präsident Teddy Roosevelt, der die Heilige Stadt als Kind mit seinen Eltern besucht hatte, unterstützte das Projekt eines »zionistischen Staates um Jerusalem«.
Wilson war die Unvereinbarkeit der zionistischen Ziele mit dem Wunsch der Araber nach politischer Selbstbestimmung schmerzlich bewusst. An einem bestimmten Punkt hatten die Briten ein amerikanisches Mandatsgebiet vorgeschlagen – ein neu eingeführter Begriff, der ein Mittelding zwischen einem Protektorat und einer Provinz beschrieb. Wilson hatte diese Möglichkeit tatsächlich erwogen. Aber angesichts des Gezerres der Franzosen und Briten um Palästina und Syrien hatte er eine Kommission eingesetzt, die herausfinden sollte, was die Araber selbst eigentlich wollten. Die King-Crane-Kommission, die von einem Ventilfabrikanten aus Chicago und dem Direktor des Oberlin College geleitet wurde, kam zu dem Ergebnis, dass die Mehrzahl der Araber in Palästina und Syrien für ein von Faisal regiertes großsyrisches Königreich waren – unter amerikanischem Protektorat. Doch diese Erkenntnis spielte letztendlich keine Rolle, weil es Wilson nicht gelang, sich gegen die imperialistischen Begierden seiner Verbündeten durchzusetzen. Es dauerte noch zwei Jahre, bis der neu gegründete Völkerbund den Zuschlag Palästinas an die Briten und Syriens an die Franzosen bestätigte – den Lawrence als »den Mandatsschwindel« bezeichnete.
Am 8. März 1920 wurde Faisal zum König von Syrien (einschließlich des Libanon und Palästinas) ausgerufen. Er ernannte den Jerusalemer Said al-Husseini zum Außenminister; Amin, der Bruder des Großmuftis, erhielt eine Anstellung am königlichen Gerichtshof. Die Begeisterung, die die Gründung des neuen Königreichs auslöste, ermutigte die Araber, sich gegen die zionistische Bedrohung zur Wehr zu setzen. Weizmann ahnte, dass Unheil drohte. Jabotinsky bildete eine 600 Mann starke jüdische Schutztruppe. Aber Storrs hörte die Alarmglocken nicht läuten.
Storrs: Nabi-Musa-Unruhen – die ersten Schüsse
Am Morgen des 20. April 1920 – es war ein Sonntag und in der Stadt wimmelte es von christlichen und jüdischen Pilgern – versammelten sich 60 000 Araber, um unter der Führung der Husseinis das Nabi-Musa-Fest zu feiern. Der Chronist Wasif Jawhariyyeh hörte, wie sie Protestlieder gegen die Balfour-Deklaration sangen. Der jüngere Bruder des Muftis, Haj Amin al-Husseini, wiegelte die Menge auf, indem er ein Bild Faisals hochhielt und rief: »Das ist euer König!« Die Leute tobten. »Palästina ist unser Land, die Juden sind unsere Hunde«, skandierten sie und drängten in die Altstadt. Ein alter Jude wurde mit Stöcken verprügelt.
»Dann«, erinnerte sich Kalil Sakakini, »verwandelte sich die Wut in Raserei.« Plötzlich hatten die Leute Dolche und Knüppel in den Händen und schrien: »Mohammed hat seine Religion mit dem Schwert gegründet!« Innerhalb kurzer Zeit war die Stadt ein einziges Schlachtfeld, wie Jawhariyyeh berichtete. Der Pöbel schrie: »Schlagt die Juden tot!« Sakakini und Wasif, beide friedfertige Menschen, denen Gewalt ein Gräuel war, empfanden plötzlich einen glühenden Zorn nicht nur gegen die Zionisten, sondern auch gegen die Briten.
Als Storrs aus der anglikanischen Kirche trat, wo er der Morgenandacht beigewohnt hatte, herrschte um ihn herum Chaos. Er eilte zu seinem Hauptquartier im österreichischen Hospiz und fühlte sich, als hätte man ihm »ein Schwert mitten ins Herz gestoßen«. Storrs’ Jerusalemer Polizeitruppe bestand lediglich aus 188 Mann. Die Unruhen gerieten immer mehr außer Kontrolle, und die Juden Jerusalems fürchteten um ihr Leben. Weizmann stürmte in Storrs’ Büro und bat um Hilfe; Jabotinsky und Rutenberg [247] schnappten sich ihre Pistolen und trommelten im Polizeihauptquartier, das auf dem russischen Gelände untergebracht war, 200 Mann zusammen. Als Storrs Einspruch dagegen erhob, patrouillierte Jabotinsky vor den Toren der Altstadt und lieferte sich Schusswechsel mit bewaffneten Arabern – das war der Moment, in dem die Schießerei anfing. In der Altstadt hielten die Araber ein paar Straßenzüge des jüdischen Viertels besetzt,
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