Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
erinnerte sich Wasif. Er bot seinem Hausarzt, der Jude war, an, ihn und seine Frau im Ernstfall zu verstecken, doch dieser hatte seine eigenen Vorkehrungen getroffen. Er zeigte Wasif zwei mit Gift gefüllte Spritzen, die für ihn selbst und seine Frau bestimmt waren.
Im Oktober 1942 errang General Montgomery bei El Alamein einen entscheidenden Sieg über die Deutschen, für Weizmann ein Wunder, vergleichbar dem rätselhaften Rückzug Sanheribs aus Jerusalem. Im November kamen die ersten niederschmetternden Nachrichten vom Holocaust in Jerusalem an: »Massenmord an polnischen Juden!«, berichtete die Palestine Post . Unter den Juden Jerusalems herrschte drei Tage lang Trauer, die ihren Höhepunkt in einem Gottesdienst an der Klagemauer fand.
Die Briten hätten den Zeitpunkt für die Einschränkung weiterer Einwanderungen von Juden in Palästina, wie es im Weißbuch von 1939 formuliert worden war, nicht schlechter wählen können: Während Juden in Europa systematisch und massenweise ermordet wurden, hinderten britische Soldaten Schiffe mit verzweifelten Flüchtlingen an der Landung. Der arabische Aufstand, Hitlers Endlösung und das Weißbuch waren für manche Zionisten der Beweis, dass man die Briten nur mit Gewalt dazu bringen konnte, den Juden die versprochene Heimstätte zu gewähren.
Die größte Miliz, die Haganah mit dem 2000 Mann starken Palmach und den 25 000 Milizionären, die von den Briten ausgebildet worden waren, unterstand der Jewish Agency. Inzwischen war Ben-Gurion der unumstrittene Führer der Zionisten, mit Amos Oz’ Worten gesprochen »ein kleiner rundlicher Mann mit einem dichten prophetenhaften Haarkranz, buschigen Augenbrauen, einer breiten, großporigen Nase, dem herausfordernd vorgeschobenen Kinn der früheren Seefahrer« und der eisernen Willenskraft eines »visionären Bauern«. Doch es war die martialische Irgun unter einem unerbittlichen neuen Befehlshaber, die jetzt Krieg gegen die Briten führte.
50
Der schmutzige Krieg
1945 – 1947
Menachem Begin: der schwarze Sabbat
»Ich kämpfe, daher bin ich«, erklärte Menachem Begin in Anlehnung an Descartes. Er war in Brest-Litowsk geboren, ein Kind des Stetls, und hatte sich Jabotinskys Betar in Polen angeschlossen, war aber mit seinem Helden aneinandergeraten, hatte seine Spitzfindigkeiten versprüht und eine eigene härtere Ideologie des militanten Zionismus entwickelt: Er befürwortete einen »Befreiungskrieg gegen diejenigen, die das Land unserer Väter halten«, und verband maximalistische Politik mit emotionaler Religiosität. Als die Nazis und die Sowjets zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Polen unter sich aufgeteilt hatten, hatte Stalins Innenministerium NKWD Begin verhaftet und als britischen Spion in den Gulag geschickt. »Was wurde aus diesem britischen Agenten?«, scherzte Begin. »Schon bald setzte die britische Polizei auf seinen Kopf die höchste Belohnung aus.«
Nachdem Stalin 1941 mit dem polnischen Oberbefehlshaber General Sikorski ein Abkommen geschlossen hatte, wurde Begin freigelassen, trat in die polnische Armee ein und kam mit ihr nach Persien und Palästina. Auf dem finsteren Kontinent der Knochenmühlen Stalins und der Todeslager Hitlers – in denen seine Eltern und sein Bruder starben – war er durch eine härtere Schule gegangen als Weizmann oder Ben-Gurion: »Nicht Masada, sondern Modin [wo der Aufstand der Makkabäer begann] symbolisiert die hebräische Revolte«, erklärte er. Jabotinsky starb 1940 an einem Herzinfarkt, und Begin wurde nun 1944 zum Kommandeur der Irgun mit ihren 600 Kämpfern ernannt. Die älteren Zionisten hielten ihn für »plebejisch oder provinziell«. Mit seiner randlosen Brille, seinen »weichen, rastlosen Händen, dem lichten Haar und den feuchten Lippen« sah Begin eher aus wie ein polnischer Provinzschulmeister als wie ein revolutionärer Vordenker. [264] Aber er besaß »die Geduld eines Jägers im Hinterhalt«.
Die Irgun hatte sich den Alliierten im Kampf gegen die Nazis angeschlossen, einige Extremisten hatten sich jedoch unter der Führung Abraham Sterns abgespalten. Stern wurde 1942 von den Briten getötet. Aber seine »Kämpfer für die Freiheit Israels«, Lechi oder Sternbande genannt, organisierten nun ihren eigenen Kampf gegen die Briten. Als ein Sieg der Alliierten wahrscheinlicher wurde, begann Begin die britische Entschlossenheit in Jerusalem auf die Probe zu stellen: Seit 1929 war es verboten, am Versöhnungstag an der Westmauer das Widderhorn, den Schofar, zu
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