Jerusalem: Die Biographie (German Edition)

blasen, aber Jabotinsky hatte sich alljährlich über diese Regelung hinweggesetzt. Als Begin im Oktober 1943 anordnete, den Schofar zu blasen, fiel die britische Polizei umgehend über die betenden Juden her, aber 1944 verzichteten sie auf ein Eingreifen. Darin sah Begin ein Zeichen der Schwäche.
    Dieser Impresario der Gewalt erklärte den Briten den Krieg: Im September 1944 verübte die Irgun Anschläge auf britische Polizeiwachen in Jerusalem und ermordete einen Kriminalpolizisten, als er durch die Stadt ging. Begin, der zwar erst knapp über dreißig Jahre alt war, aber (ebenso wie Ben-Gurion) »der Alte« genannt wurde, tauchte in den Untergrund ab, wechselte ständig den Aufenthaltsort und tarnte sich als bärtiger Talmudgelehrter. Die Briten setzten ein Kopfgeld von 10 000 Pfund auf seine Festnahme aus, tot oder lebendig.
    Die Jewish Agency verurteilte Terrorismus. Aber die Lechi unternahm zwei Mordanschläge auf den britischen Hochkommissar Harold MacMichael in Jerusalem, während die Alliierten am D-Day mit der Landung in der Normandie anfingen, die von Deutschen besetzten Territorien zurückzuerobern. [265] Im November desselben Jahres töteten sie in Kairo Walter Guinness, Lord Moyne – den britischen Nahostminister in Ägypten und Freund Churchills, der Ben-Gurion den taktlosen Vorschlag gemacht hatte, die Alliierten sollten nicht in Zion, sondern in Ostpreußen einen Judenstaat errichten. Ben-Gurion verurteilte die Mordanschläge und half den Briten 1944 und 1945 bei der Jagd nach den »abtrünnigen« jüdischen Milizionären – 300 Aufständische wurden verhaftet. Die Zionisten nannten die Phase la saison , die Jagdsaison.
    Am 8. Mai 1945, dem Tag des alliierten Sieges in Europa, schritt der neue Hochkommissar, Feldmarschall Viscount Gort, vor dem King David Hotel die Ehrenformation ab und erließ eine Amnestie für jüdische und arabische politische Gefangene, während die Jerusalemer feierten. Aber bereits am nächsten Tag holte die sektiererische Politik die Stadt wieder ein: Juden wie Araber demonstrierten – und beide Seiten boykottierten bereits effektiv die Stadtverwaltung Jerusalems.
    In Großbritannien erlitt Winston Churchill bei den Parlamentswahlen 1945 eine Niederlage. Der neue Premierminister, Clement Attlee, hatte William Blakes Hymne Jerusalem als Wahlkampflied eingesetzt und seinem Volk ein neues Jerusalem versprochen – erwies sich allerdings als durchweg unfähig, das alte Jerusalem zu verwalten.
    Besorgt rüsteten sich die Briten für die bevorstehenden Auseinandersetzungen. Sollte Jerusalem, wo 100 000 Juden, 34 000 Muslime und 30 000 Christen lebten, ein britisch verwalteter Staat werden, wie MacMichael vorschlug, oder sollte man die Stadt teilen und die heiligen Stätten den Briten unterstellen, wie Gort vorschlug? In jedem Fall waren die Briten entschlossen, die Einwanderung von Juden nach Palästina zu stoppen – auch wenn viele der Einwanderer Überlebende aus Hitlers Todeslagern waren, die nun in ganz Europa in elenden Lagern für Displaced Persons festsaßen. Schiffe voller verzweifelter jüdischer Flüchtlinge wurden von den britischen Streitkräften schikaniert und abgewiesen. So stürmten die Briten die Exodus , verprügelten die Flüchtlinge auf dem Schiff, die großenteils Holocaust-Überlebende waren (dabei wurden drei Flüchtlinge getötet), und schickten sie mit einem unvorstellbaren Mangel an Einfühlungsvermögen zurück in Lager in Deutschland. Selbst die moderate Jewish Agency fand dieses Vorgehen moralisch verwerflich.
    Daher beschlossen Ben-Gurion, Begin und die Lechi, ein gemeinsames Widerstandskommando zu bilden, um jüdische Einwanderer aus Europa einzuschleusen und den Kampf gegen die Briten mit Angriffen auf Bahnlinien, Flugplätze, Militärstützpunkte und Polizeistationen zu koordinieren. Aber die beiden kleineren Gruppierungen machten der gemäßigteren Haganah-Politik nur Lippenbekenntnisse. Der russische Bezirk, dessen majestätische Pilgerherbergen als Polizeikasernen dienten, war ein bevorzugtes Angriffsziel der Irgun. Am 27. Dezember 1945 zerstörte sie das Hauptquartier der Kriminalpolizei, die ehemalige Nikolai-Pilgerherberge. Begin fuhr eigens mit dem Bus von Tel Aviv nach Jerusalem, um sein Werk zu begutachten. Im Januar 1946 überfiel die Irgun das Gefängnis im russischen Bezirk, das in der ehemaligen Marianskaya-Pilgerinnenherberge untergebracht war. [266]
    Erschüttert über diese Anschläge, zogen die Briten in ihrem Dilemma die