Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Sieges erleichtert war, drang er im brennenden Tempel bis zum Allerheiligsten vor, das selbst der Hohepriester nur einmal im Jahr betreten durfte. Seit der römische Feldherr und Staatsmann Pompeius 63 v.Chr. dort eingedrungen war, hatte kein Fremder die Reinheit dieses Ortes entweiht. Aber Titus schaute hinein: »Alles fand er weit erhaben über den Ruf, den es bei den Fremden genoss, und ganz entsprechend der fast prahlerisch hohen Meinung, welche die Einheimischen davon hatten«, wie Josephus schreibt. Er befahl dem Centurio, die Brandstifter mit Schlägen zurückzudrängen, aber »die allgemeine Kampfwut erwies sich als stärker«. Während rund um das Allerheiligste ein Inferno ausbrach, brachten die Offiziere Titus in Sicherheit, und »niemand gab sich mehr die Mühe, die außen um das Heiligtum streifenden Soldaten von weiterer Brandlegung abzuhalten«.
Inmitten der Flammen tobten die Kämpfe weiter: Benommene, ausgehungerte Jerusalemer irrten verzweifelt durch die brennenden Portale. Tausende Zivilisten und Rebellen sammelten sich auf den Stufen des Altars, bereit bis zum Letzten zu kämpfen oder ohne Hoffnung zu sterben. Sie alle metzelten die berauschten Römer nieder, als brächten sie massenhaft Menschenopfer: »Besonders um den Altar türmten sich die Toten in Massen auf«, und das Blut floss über die Stufen. Zehntausende Juden starben im brennenden Tempel.
Das Bersten riesiger Steine und Holzbalken krachte wie Donner. Josephus beobachtete den Untergang des Tempels:
Mit dem Prasseln der allenthalben hervorbrechenden Flammen mischte sich das Stöhnen der zu Boden Geschmetterten. Wenn man die Höhe des Hügels und die Größe des brennenden Riesenbaues in Betracht zog, hätte man glauben können, die ganze Stadt stehe in Flammen; grausiger aber und gellender lässt sich nichts denken als das Geschrei, das über dem Ganzen tobte. Denn während die römischen Legionen, die in geschlossenem Zuge vordrangen, ihre Jubelrufe anstimmten, erscholl gleichzeitig das Geheul der von Feuer und Schwert umringten Empörer, und von oben tönte darein die Wehklage des verlassenen Volkes, das sich in der Angst zu den Feinden flüchtete und sein Geschick bejammerte … und zu alledem der Widerhall von Peraea und den umliegenden Bergen, der das Getöse noch entsetzlicher machte … Der Tempelberg schien von Grund aus zu glühen, da er rings in Feuer gehüllt war.
Moriah, einer der beiden Berge Jerusalems, auf den König David die Bundeslade gestellt und sein Sohn Salomon den ersten Tempel gebaut hatte, war in eine Feuersglut getaucht, und Leichen bedeckten den Boden des Tempels. In ihrem Triumph trampelten die Soldaten über die leblosen Körper weg. Die Priester kämpften, und manche warfen sich in das Feuer. Als die wütenden Römer sahen, dass der innere Tempel zerstört war, schnappten sie sich das Gold und andere Schätze, bevor sie auch den Rest des Tempelkomplexes in Brand setzten. [6]
Als der innere Hof brannte, brachen die überlebenden Rebellen bei Tagesanbruch durch die römischen Linien aus in das Gewirr von Außenhöfen, und manche entkamen in die Stadt. Die römischen Reiter unternahmen einen Gegenangriff, töteten die Aufständischen und brannten die Schatzkammern des Tempels nieder, die mit Reichtümern von den Tempelsteuern aller Juden von Alexandria bis Babylon gefüllt waren. In einer Halle entdeckten sie 6000 Frauen und Kinder, die in apokalyptischer Erwartung zusammenkauerten. Ein »falscher Prophet« hatte zuvor behauptet, im Tempel könnten sie »die Zeichen ihrer Rettung schauen«. Die Legionäre setzten die Gänge in Brand und ließen diese Menschen bei lebendigem Leib verbrennen.
Die Römer trugen ihre Adler auf den Heiligen Berg, brachten ihren Göttern Opfer dar und huldigten Titus als ihrem Imperator. Noch immer versteckten sich Priester in der Nähe des Allerheiligsten. Zwei stürzten sich in die Flammen, und einem gelang es, die Schätze aus dem Tempel zu bringen: die Gewänder des Hohepriesters, die beiden goldenen Armleuchter und eine Menge Zimt und Kassie, Gewürze, die jeden Tag im Heiligtum verbrannt wurden. Als die übrigen sich ergaben, ließ Titus sie mit der Begründung hinrichten, »so zieme es ihnen als Priestern, mit dem Tempel unterzugehen«.
Jerusalem war – und ist – eine Stadt der Tunnel. Auf diesem Weg verschwanden die Rebellen nun im Untergrund und behielten die Kontrolle über die Zitadelle und die westliche Oberstadt. Titus brauchte einen weiteren Monat, den Rest
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