Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Legibus
Wer Jerusalem in seiner Pracht nicht gesehen hat, hat im Leben keine herrliche Großstadt gesehen. Wer den Tempel in seinem Bestande nicht gesehen hat, hat im Leben kein prächtiges Gebäude gesehen.
Babylonischer Talmud, Sukka, 51b
Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte. Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein.
Psalm 137,5–6
Jerusalem ist die berühmteste Stadt des Ostens.
Plinius der Ältere, Naturgeschichte, 5.70
1
Die Welt Davids
Der erste König: Kanaaniter
Als David die Burg Zion eroberte, war Jerusalem bereits alt. Allerdings war es weniger eine Stadt als vielmehr eine kleine Bergfestung in einem Land, das viele Namen bekommen sollte: Kanaan, Juda, Judäa, Israel, Palästina, das Heilige Land für die Christen, das Gelobte Land für die Juden. Dieses gerade einmal 150 mal 250 Kilometer große Gebiet erstreckte sich zwischen der südöstlichen Mittelmeerküste und dem Jordan. Seine üppige Küstenebene bot Invasoren und Händlern den besten Verbindungsweg zwischen Ägypten und den Reichen im Osten. Aber die abgelegene, isolierte Siedlung Jerusalem lag 50 Kilometer von der nächsten Küste entfernt, fernab aller Handelswege hoch in der gelbfelsigen Einöde und war eisigen, manchmal sogar schneereichen Wintern und sengend heißen Sommern ausgesetzt. Aber auf diesen abweisenden Bergen herrschte Sicherheit, und unten im Tal gab es eine Quelle, die gerade für eine Siedlung ausreichte.
Das romantische Bild der Stadt Davids ist wesentlich lebendiger als alle verifizierbaren historischen Fakten. Im Nebel der Frühgeschichte Jerusalems werfen Keramikfragmente, gespenstische Felsengräber, Mauerreste, Inschriften in den Palästen ferner Könige und die heilige Schrift der Bibel nur flüchtige, durch Jahrhunderte voneinander getrennte Schlaglichter auf das Leben der Menschen dort, das ansonsten in einem undurchdringlichen Dunkel liegt. Die sporadischen Hinweise, die es gibt, werfen ein flackerndes Licht auf einzelne zufällige Momente einer untergegangenen Kultur, gefolgt von Jahrhunderten des Lebens, über das wir nichts wissen – bis der nächste Funke ein weiteres Bild beleuchtet. Nur die Quellen, Berge und Täler bleiben, und selbst sie haben Witterung, Geröll und menschliches Eingreifen im Laufe der Jahrtausende umgeleitet, geformt und angefüllt. So viel oder wenig steht fest: Zur Zeit König Davids hatte die Kombination aus Heiligkeit, Sicherheit und natürlichen Gegebenheiten Jerusalem zu einer alten Festung gemacht, die als uneinnehmbar galt.
Bereits 5000 v.Chr. lebten hier Menschen. In der frühen Bronzezeit um 3200 v.Chr., als Uruk, die Mutter aller Städte im späteren Irak, schon 40 000 Einwohner hatte und das nahe Jericho bereits eine befestigte Stadt war, setzten Menschen in Jerusalem ihre Toten in Felsengräbern bei und begannen kleine quadratische Häuser in einem vermutlich befestigten Dorf auf einem Berg oberhalb einer Quelle zu bauen. Lange lag diese Siedlung dann verlassen da. Als die ägyptischen Pharaonen des Alten Reichs den Zenit ihres Pyramidenbaus erreichten und die Große Sphinx fertigstellten, existierte Jerusalem kaum. Im 20. Jahrhundert v.Chr., als auf Kreta die minoische Kultur blühte, König Hammurabi in Babylon seinen Gesetzeskodex erstellte und Briten in Stonehenge ihren Göttern huldigten, erwähnten Keramiken, von denen Scherben bei Luxor in Ägypten gefunden wurden, eine Stadt namens Ursalim, eine Version von Salem oder Shalem, dem Gott des Abendsterns. Möglicherweise bedeutet dieser Name »Salem gründete«. [1]
In Jerusalem war mittlerweile um die Gihonquelle eine Siedlung entstanden: Die kanaanitischen Einwohner bauten einen Tunnel durch den Felsen bis zu einem Teich innerhalb der Burgmauern. Ein befestigter unterirdischer Gang schützte ihren Zugang zum Wasser. Wie jüngste archäologische Grabungen zeigen, schützten sie die Quelle mit einem Turm und einer massiven, 7 Meter dicken Mauer aus 3 Tonnen schweren Steinen. Der Turm mag auch als Tempel gedient haben, um die kosmische Heiligkeit der Quelle zu feiern. In anderen Teilen Kanaans bauten Priesterkönige befestigte Tempeltürme. Weiter oben auf dem Berg fand man Reste einer Stadtmauer, der ältesten Jerusalems. Wie sich mittlerweile herausstellt, schufen die Kanaaniter in Jerusalem imposantere Bauwerke als alle anderen bis zu Herodes dem Großen nahezu 2000 Jahre später. [8]
Die Jerusalemer wurden
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