Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Dynastien, den Nusseibehs und den Nashashibis, verbunden, denen immer noch ein Viertel des Landes gehörte und denen »die von den Briten eingeführte Gesellschaftsordnung wie maßgeschneidert passte«, wie der palästinensische Philosoph Sari Nusseibeh schrieb. »Die Männer gehörten der gleichen Kavaliersgesellschaft an, und den englischen Offizieren persönlich waren sie lieber als die jüdischen Emporkömmlinge aus Russland.
Die Notabelnfamilien hatten noch nie in einem solchen Luxus gelebt: Hazims Vater gehörten zwei »palastartige Residenzen mit jeweils 20 bis 30 Zimmern«. Die Väter hatten eine Erziehung in Konstantinopel genossen, die Söhne besuchten im Allgemeinen die St.-George-Schule im arabischen Nobelviertel Sheikh Jarrah und wurden zum Studium nach Oxford geschickt. Hazem Nusseibeh, Saris Onkel, erinnerte sich: »Es war lustig, die Effendi-Aristokratie des arabischen Jerusalem zu sehen, wie sie im Sommer in gebügelten weißen Seidenanzügen und mit Seidenkrawatten und auf Hochglanz polierten Schuhen herumliefen.« Hazems Bruder Anwar kutschierte in einem Buick durch Jerusalem, dem ersten, den es in der Stadt gab.
Viele Angehörige der arabischen Mittelschicht, Muslime wie Christen, waren in der Mandatsverwaltung angestellt. Sie wohnten in den hellroten Steinvillen der osmanischen Welt von Sheikh Jarrah, Talbieh, Bakaa und Katamon, den arabischen Vierteln der Neustadt, die Amos Oz »eine verschleierte Stadt voll gefährlicher Geheimnisse, reich an Kreuzen, Türmen, Moscheen und Mysterien« nannte, »ehrwürdig und still, durch ihre Straßen huschen wie dunkle Schatten Geistliche fremder Religionen in schwarzen Kutten oder Soutanen, Mönche und Nonnen und Kadis und Muezzine und Würdenträger und Pilger und Frauenschleier und Mönchskapuzen«.
»Rauschende Feste, üppige Gastmahle, Abendgesellschaften und Empfänge« wurden das ganze Jahr über im Haus des Historikers George Antonius, eines »syrischen Nationalisten mit dem klaren Verstand eines Cambridge-Professors«, und seiner »charmanten, schönen« und beeindruckenden Frau Katy veranstaltet, der Tochter eines libanesischen Verlegers ägyptischer Zeitungen.« [256] Ihre Villa in Sheikh Jarrah, deren Eigentümer der Mufti war und zu der eine Bibliothek mit 12 000 Büchern gehörte, war ebenso ein gesellschaftlicher Treffpunkt für arabische Würdenträger, Mitglieder der britischen Oberschicht und namhafte Besucher wie ein politischer Salon für arabische Nationalisten. »Schöne Frauen, köstliche Speisen, geistreiche Unterhaltungen; alles, was Rang und Namen hatte, kam zu diesen Festen, die die besten in ganz Jerusalem waren und bei denen es immer wunderbar locker zuging«, schrieb Nassereddin Nashashibi. Die beiden führten, wie es hieß, eine offene Ehe, und Katy flirtete ständig, am liebsten mit Engländern in Uniform: »Sie war kess und ungeheuer wissbegierig«, erinnerte sich ein alter Jerusalemer, »sie redete gern und brachte immer die richtigen Leute zusammen.« Antonius erzählte seiner Tochter später einmal vom Fest eines bekannten Jerusalemers, bei dem er die anderen Gäste begeistert, vielleicht aber auch ein wenig schockiert hatte, indem er ein selbst erfundenes Partnertauschspiel für seine nächste Party vorschlug: Er wollte zehn Paare einladen, aber jeder sollte eine Person des anderen Geschlechts mitbringen, die nicht sein Ehepartner war – und dann sollte man sehen, was passierte.
Die Haltung der Juden gegenüber den Briten kühlte ab, als diese die zionistischen Ziele nicht mehr vorbehaltlos unterstützten, was den Hochkommissar zu der Klage veranlasste, die Juden seien ein »undankbares Volk«. Jedes von Juden bewohnte Viertel repräsentierte einen anderen Teil der Erde: Rehavia, wo nichtreligiöse deutsche Professoren und britische Regierungsbeamte wohnten, war der begehrteste Stadtteil, ruhig, zivilisiert und europäisch; im bucharischen Viertel fühlte man sich nach Zentralasien versetzt; das chassidische Viertel Mea Shearim war ärmlich und schäbig wie manche Dörfer in Polen im 17. Jahrhundert; in Zichron Zion hing der Geruch von aschkenasischem Armeleuteessen, von »Borschtsch, Knoblauch und Zwiebeln und Sauerkraut« in der Luft, wie Amos Oz erzählt; Talpiot war wie »ein Jerusalemer Abklatsch eines Berliner Gartenvororts«, und sein eigenes Viertel, Kerem Avrahem, das sich um das ehemalige Haus des britischen Konsuls James Finn herumdrängte, war so russisch, dass es »Tschechow gehörte«.
Weizmann hatte
Weitere Kostenlose Bücher