Jesus liebt mich
wie zum Teufel schafften die Leute in den romantischen Komödien es nur immer, durch halb New York zu rennen? Gut, die hatten ja auch einen Regisseur, der sie in schnellen Bildschnitten durch die Stadt brachte, netto liefen die vielleicht gerade mal vierzig Sekunden. Außerdem hatten sie in der Regel keine Schuhe mit Absatz an wie ich gerade. Wenn eine Frau doch mal welche trug, zog sie die im Rennen aus, ohne sich dabei die Beine zu brechen, und rannte barfuß durch die Großstadt, ohne auch nur ein einziges Mal in eine Glasscherbe zu treten oder in Hundekacke.
Aber ich war nicht im Film, der Uferweg war voll mit Hundekacke, Glasscherben sowie benutzten Kondomen (die Malenter Gymnasiasten nannten den Weg nur «Way of Life»), also konnte ich meine Schuhe nicht ausziehen. Manchmal konnte die Realität echt blöd sein.
Geplagt von Seitenstichen, schleppte ich mich die Ufertreppe, die zum Pfarrhaus führte, hoch. Als ich den Kiesweg betrat, sah ich, wie Joshua mit seinem Gepäck aus dem Pfarrhaus trat. Trotz der Schmerzen rannte ich auf ihn zu, ich japste, ich schnaufte, ich schwitzte und hoffte, dass erdie Schweißflecke unter meinen Achseln nicht bemerken würde.
«Marie, du siehst aus, als seist du durch die Wüste Sinai gewandert», sagte er verwundert.
Ich antwortete darauf nicht, ich war einfach nur sehr glücklich, dass Joshua noch nicht abgereist war. Aber er sah kein bisschen erfreut aus, dass ich jetzt vor ihm stand. Ganz im Gegenteil.
«Geh mir bitte aus dem Weg», forderte er mich auf.
«Ich …»
«Du glaubst nicht an Gott», schnitt er mir das Wort ab.
«Das hab ich nie gesagt», widersprach ich und versuchte zu relativieren: «Ich sagte, ich glaube nicht genug an Gott.»
«Nicht genug ist nicht genug», erwiderte er scharf und ging an mir vorbei. Er ließ mich stehen. Einfach so.
Niemand durfte mich so einfach stehenlassen! Nicht mal er!
Sauer rief ich ihm hinterher: «Spiel hier nicht die beleidigte Leberwurst und lass uns wie zwei Erwachsene miteinander reden!»
Joshua drehte sich zu mir um und erwiderte: «Ich hab keine Ahnung, wie eine Wurst beleidigt sein kann.»
«Das war eine Metapher», erklärte ich genervt.
«Und von mir Ironie», konterte Joshua.
Na toll, dachte ich mir, ausgerechnet jetzt begreift er, was Ironie ist!
Wir sahen uns wütend in die Augen. So wie es nur zwei Menschen tun können, die Gefühle füreinander empfinden. Der Eindruck verfestigte sich bei mir, dass wir doch recht weit von einer Versöhnung, geschweige denn von einer Familiengründung entfernt waren. Zeit also für die goldeneRegel: Was hätte ich an Joshuas Stelle gewollt? Eine sachliche Erklärung!
«Ich glaube an dich», fing ich an und schlug dabei einen sanfteren Tonfall an, «und das meiste von dem, was du in der Bergpredigt gesagt hast, finde ich auch ziemlich gut …»
Das stimmte ihn milder, seine Stirn lag nun nicht mehr in Zornesfalten.
«… selbst wenn ich das mit den Perlen und den Schweinen nicht hundertprozentig verstanden habe …»
«Das ist so gemeint …», hob Joshua zu einer Erklärung an.
«Das ist mir jetzt scheißegal!», unterbrach ich ihn unwirsch.
Er schwieg, ich hatte das Gefühl, die Schweine waren ihm auch gerade ziemlich egal.
«Durch dich», erklärte ich wieder etwas ruhiger, «habe ich Frieden mit meiner Mutter gefunden, mit meinem Vater, sogar mit der Frau, die ich Wodka-Nutte genannt habe …»
«Wodka-Nutte?»
«Ebenfalls egal», sagte ich. «Und ich glaube fast, ich bin auch etwas reifer geworden, erwachsener. Darauf hätte wohl noch vor drei Tagen kein Mensch auch nur einen Cent gewettet, selbst ich nicht … Aber es gibt eine Sache, mit der ich einfach nicht klarkomme: Das ist diese ganze Gott-Bestrafungs-Höllen-Nummer … Weißt du, ich bin mehr so für die antiautoritäre Erziehung.»
«Antiautoritäre Erziehung?», fragte Joshua irritiert. «Marie, du redest ähnlich wirr wie der Besessene von Gadara.»
Ich wusste nicht, wer dieser Besessene war, und vermutete, dass es auch besser war, ihn nie kennengelernt zu haben. Aber Joshua hatte recht, ich musste klarer werden und vor allem so reden, dass er mich verstand.
«Wie steht es doch in der Bibel?», fragte ich daher. «Traget keine Furcht im Herzen. Lebet ohne Angst vor einer Strafe oder vor den Feuern der Hölle. Tuet Gutes den Menschen um euch herum, weil es euer freier Wunsch ist, und sei es auch nur um eurer selbst willen, denn euer eigenes Leben wird dadurch reicher
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