Jesus liebt mich
Fußgängerzone zum Nachtisch ein leckeres Eis zu spendieren. Mama und Gabriel sahen sich beim Kohlessen verliebt an, Swetlana und Papa sahen sich ebenfalls verliebt an, und ich sah meine Kartoffeln nicht ganz so verliebt an.
Ich saß allein zwischen zwei glücklichen Paaren – das hatte etwas von Single-Albtraum –, und ich vermisste Joshua so sehr. Es waren noch ein paar Tage bis nächste Woche Dienstag, und ich würde sie mit Liebeskummer verbringen. Na, super.
Swetlanas kleine Tochter kam in die Küche gerannt, weil Papa die extra für sie gemachten Pommes aus dem Ofenholte. Im Schlepptau hatte die Kleine eine neue Freundin namens Lulu, die zu den siebenjährigen Mädchen gehörte, die Lipgloss benutzten. Die beiden setzten sich an den Tisch und wehrten jeglichen Versuch Swetlanas, ihnen auch nur ein bisschen Gemüse auf den Teller zu tun, erfolgreich ab. Ich sah diese kleinen Mädchen und musste unwillkürlich an Maja und Mareike denken, die beiden Töchter, die ich mir immer gewünscht hatte, und plötzlich wurde mir endgültig klar, was für ein großartiger, außergewöhnlicher Mann Joshua war. Nicht etwa wegen seiner Wunderheilung, auch nicht wegen seiner besonderen Art des Aquajoggings, nein, er war der erste Mann gewesen, der eine Familie mit mir gründen wollte und mit dem auch ich eine hätte haben wollen. In meiner Beziehung mit Marc war ich es, die sich nach einer Familie sehnte, während er von Kindern ähnlich viel hielt wie von der Monogamie, und in den Jahren mit Sven war er es, der insgeheim eine Familie wollte, während ich immer sehr genau auf die Anzahl der Pillen in meiner Packung achtete. Jetzt aber hatte sich ausgerechnet der falscheste aller Männer, in den ich mich hätte verlieben können, als genau der Richtige entpuppt.
Doch ich hatte diesen außergewöhnlichen, großartigen Mann von mir gestoßen, weil Gott es befohlen hatte. Na ja, nicht richtig befohlen, sondern eher nahegelegt. Er hatte ja meine Entscheidung meinem freien Willen überlassen. Und mit dem hatte ich mich gegen meinen eigentlichen Willen entschieden.
Lilliana und ihre Lipgloss-Freundin lachten laut auf, als Papa sich beim Versuch, ihnen Ketchup aufzutun, selbst mit der roten Soße bekleckerte. Das Lachen der Kleinen war nur ein bisschen süß – um ehrlich zu sein, klang es wie bei Babyhyänen, wenn sie auf eine Antilope mit gebrochenem Beintreffen. Aber ich dachte an das Lachen von Maja und Mareike, das wäre garantiert viel, viel entzückender gewesen.
Warum hatte ich nicht für unsere Liebe gekämpft?
Nur weil sie unrealistisch war?
Und Gott etwas gegen sie hatte?
Was waren das für alberne Argumente, wenn man wirklich liebte?
Gabriel hatte sich doch auch nicht um die göttliche Ordnung geschert. Ich beobachtete, wie er es sichtlich genoss, dass meine Mutter ihre Hand so auf seinen Schoß legte, wie es sich in der Öffentlichkeit eigentlich nicht schickte. Wenn Gabriel so glücklich werden konnte, obwohl er nicht seiner Bestimmung folgte, könnte es Joshua doch vielleicht auch. Wenn er wirklich etwas für mich empfand – und ich hatte keine Zweifel daran, Joshua konnte ja nicht lügen –, würde er auch den Konflikt mit Gott ertragen können. Und müssen! Man konnte doch nicht ewig Papasöhnchen (Mamasöhnchen, Wasauchimmersöhnchen) sein, oder?
Ich sah auf die Uhr, Joshua würde sich jeden Augenblick zum Hamburger Hafen aufmachen, um sein Schiff nach Jerusalem zu bekommen. Vielleicht war er aber schon dort und sang im Moulin Rouge mit den Freiern und den Prostituierten Psalmen.
Wenn ich weiter auf meine Kartoffeln starrte, würde ich es nie herausfinden.
Und garantiert nie mehr eine Familie gründen.
Ich wusste natürlich genau, dass die Chance dafür circa eins zu 234 Phantastilliarden war. Aber ich musste versuchen, diese Chance zu nutzen. Wenn Gott etwas dagegen hatte, dann hätte er mir eben keinen freien Willen geben sollen! Oder nicht die verdammte Liebe erfinden dürfen.
51
Ich sprang vom Tisch auf, erklärte meinem Papa, dass mein Aufbruch keinesfalls an seinen Kochkünsten liege – obwohl die das Potenzial hatten, eine Massenpanik auszulösen –, lief aus dem Haus und anschließend auf dem Uferweg am See Richtung Pfarrhaus. Ich rannte wie weiland Harry in «Harry trifft Sally». Doch leider reichte meine Kondition gerade mal für vierhundert Meter, dann begann ich zu schnaufen, nach circa siebenhundert Metern japste ich, und kurz darauf bekam ich die ersten Seitenstiche –
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