Jesus von Nazareth - Band II
13,24 – 27).
Daran ist auffällig, dass dieser Text weitgehend aus Worten des Alten Testaments, besonders aus dem Buch Daniel, aber auch aus Ezechiel, Jesaja und anderen Texten der Schrift gewoben ist. Diese Texte stehen ihrerseits in Zusammenhang untereinander: Alte Bilder werden in bedrängenden Situationen neu gelesen und weiter entfaltet; innerhalb des Buches Daniel selbst kann man einen solchen Prozess von Neulesungen der gleichen Worte in der weitergehenden Geschichte beobachten. Jesus stellt sich in diesen Prozess der „Relecture“ hinein, und von da aus ist es auch zu verstehen, dass die gläubige Gemeinde – wie wir schon kurz bedacht hatten – ihrerseits die Jesus-Worte in ihre neuen Situationen hinein weiterlas, freilich so, dass dabei die Grundbotschaft bleiben musste. Aber dass Jesus dieses Kommende nicht selber schildert, sondern mit alten Prophetenworten neu ankündigt, hat eine tiefer reichende Bedeutung.
Zuerst freilich müssen wir auf das achten, was das Neue ist: Der kommende Menschensohn, von dem Daniel (7,13f) gesprochen hatte, ohne ihm persönliche Züge geben zu können, ist nun identisch mit dem jetzt zu den Jüngern redenden Menschensohn. Die alten apokalyptischen Worte erhalten eine personalistische Mitte: In ihr Zentrum rückt die Person Jesu selbst, die die gelebte Gegenwart und die geheimnisvolle Zukunft ineinander verknüpft. Das eigentliche „Ereignis“ ist die Person, in der im Vergehen der Zeit wirklich Gegenwart bleibt. In dieser Person ist das Künftige jetzt da. Die Zukunft wird uns letztlich in keine andere Situation stellen, als sie im Begegnen mit Jesus schon gegeben ist.
So wird durch die Zentrierung der kosmischen Bilder in einer Person, in einer jetzt gegenwärtigen und gekanntenPerson, der kosmische Kontext sekundär, und auch die Zeitfrage verliert an Gewicht: Die Person „ist“ im Ablauf der physikalisch messbaren Dinge, sie hat ihre eigene „Zeit“, sie „bleibt“.
Diese Relativierung des Kosmischen, oder besser: dessen Zentrierung ins Personale hinein, zeigt sich besonders deutlich im Schlusswort des apokalyptischen Teils: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mk 13,31). Das Wort, gegenüber der gewaltigen Macht des unermesslichen materiellen Kosmos wie ein Nichts, ein Hauch des Augenblicks in der schweigenden Größe des Alls – das Wort ist wirklicher und beständiger als die ganze materielle Welt. Es ist die eigentliche, die verlässliche Wirklichkeit: der Boden, auf den wir uns stellen können und der auch bei der Verfinsterung der Sonne und dem Einsturz des Firmaments hält. Die kosmischen Elemente vergehen; das Wort Jesu ist das wirkliche „Firmament“, unter dem der Mensch stehen und bestehen kann.
Diese personalistische Zentrierung, ja Umwandlung der apokalyptischen Visionen, die doch der inneren Richtung der alttestamentlichen Bilder entspricht, ist das eigentlich Spezifische in den Worten Jesu über das Weltende: das, worauf es dabei ankommt.
Von da aus können wir auch verstehen, was es bedeutet, dass Jesus nicht das Weltende beschreibt, sondern es mit schon gegebenen Worten des Alten Testaments ankündigt. Das Sprechen mit Worten der Vergangenheit über Künftiges entzeitlicht diese Reden. Es handelt sich nicht um eine neu gefundene Beschreibung des Kommenden, wie man sie von Hellsehern erwartet, sondernes geht darum, die Schau auf das Kommende einzufügen in das schon geschenkte Wort Gottes, dessen Beständigkeit einerseits und dessen offene Potentialitäten andererseits sich so zeigen. Es wird klar, dass das damalige Wort Gottes die Zukunft in ihrer wesentlichen Bedeutung erhellt. Aber es gibt keine Beschreibung dieses Künftigen, sondern zeigt uns nur heute für jetzt und für morgen den rechten Weg.
Die apokalyptischen Worte Jesu haben nichts mit Hellseherei zu tun. Sie wollen uns gerade von der äußeren Neugier auf das Anzuschauende abbringen (vgl. Lk 17,20) und zum Wesentlichen führen: zum Leben auf dem Boden des Wortes Gottes, das Jesus uns schenkt; zur Begegnung mit ihm, dem lebendigen Wort; zur Verantwortung vor dem Richter der Lebenden und der Toten.
3. KAPITEL
DIE FUSSWASCHUNG
N ach den Lehrreden Jesu, die dem Bericht von seinem Einzug in Jerusalem folgen, nehmen die synoptischen Evangelien den Erzählfaden mit einer präzisen Datierung wieder auf, die zum Letzten Abendmahl hinführt.
Markus sagt zunächst, zu Beginn des 14. Kapitels: „Es war zwei Tage vor
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