Jesus von Nazareth - Band II
allen Menschen – die Heimkehr von „allem Fleisch“.
Neues geschieht in dieser Heimkehr: Jesus kehrt nicht allein zurück. Er streift das Fleisch nicht ab, sondern zieht alle in sich hinein (Joh 12,32). Die Metabasis gilt dem Ganzen. Wenn im 1. Kapitel des Johannes-Evangeliums gesagt ist, dass die „Seinigen“
(ídioi)
ihn nicht annahmen (1,11), so hören wir nun, dass er die „Seinigen“ bis ans Ende liebt (13,1). Im Abstieg hat er neu die „Seinigen“ – die große Familie Gottes – gesammelt, sie aus Fremden zu „Seinigen“ gemacht.
Hören wir nun dem Evangelisten weiter zu: Jesus „stand vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in die Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch zu trocknen, mit dem er umgürtet war“ (Joh 13,4f). Jesus tut an seinen Jüngern den Dienst eines Sklaven, er „erniedrigt sich selbst“ (Phil 2,7).
Was der Philipper-Brief in seinem großen Christus-Hymnus sagt – dass Christus in der Gegengebärde zu Adam, der versucht hatte, aus Eigenem nach der Gottheit zu greifen, umgekehrt aus seiner Gottheit heraus absteigt ins Menschsein, „Knechtsgestalt annahm“ und gehorsam wurde bis zum Tod am Kreuz –, das ist hier in einer einzigen Gebärde sichtbar gemacht. Jesus stellt in einer Zeichenhandlung das Ganze seines Heilsdienstes dar. Er entkleidet sich seines göttlichen Glanzes, er kniet sich sozusagen vor uns nieder, er wäscht und trocknet unsere schmutzigen Füße, um uns tischfähig zu machen für Gottes Hochzeitsmahl.
Wenn sich in der Apokalypse die paradoxe Formulierung findet, die Geretteten hätten ihre Gewänder „im Blut des Lammes weiß gewaschen“ (Offb 7,14), so willdies sagen, dass es die bis ans Ende gehende Liebe Jesu ist, die uns reinigt, uns wäscht. Die Gebärde der Fußwaschung drückt eben dies aus: Es ist die dienende Liebe Jesu, die uns aus unserem Hochmut herauszieht und uns gottfähig, „rein“ macht.
„Ihr seid rein“
I n dem Abschnitt über die Fußwaschung kommt das Wort „rein“ dreimal vor. Johannes greift damit einen Grundbegriff der religiösen Tradition des Alten Testaments wie der Welt der Religionen überhaupt auf. Damit der Mensch vor Gott hintreten, Gemeinschaft mit Gott haben kann, muss er „rein“ sein. Je mehr er aber ins Licht kommt, desto mehr fühlt er sich verschmutzt und der Reinigung bedürftig. Die Religionen haben darum Systeme der „Reinigung“ geschaffen, die dem Menschen den Zutritt zu Gott ermöglichen sollen.
In den Kultordnungen aller Religionen spielen die Reinigungsvorschriften eine große Rolle: Sie geben dem Menschen eine Vorstellung von der Heiligkeit Gottes wie auch von seinem eigenen Dunkel, von dem er befreit werden muss, um Gott nahekommen zu können. Das System der kultischen Reinigungen beherrschte im observanten Judentum der Zeit Jesu das ganze Leben. Im 7. Kapitel des Markus-Evangeliums begegnen wir Jesu grundsätzlicher Auseinandersetzung mit diesem Begriff der kultischen Reinheit, die durch rituelle Vollzüge hergestellt wird; Paulus hatte sich in seinen Briefen immer wieder mit dieser Frage der „Reinheit“ vor Gott auseinanderzusetzen.
Bei Markus sehen wir die radikale Wende, die Jesusdem Begriff der Reinheit vor Gott gegeben hat: Nicht rituelle Handlungen reinigen. Reinheit und Unreinheit ereignen sich im Herzen des Menschen und hängen vom Zustand seines Herzens ab (Mk 7,14 – 23).
Aber sofort erhebt sich die Frage: Wie wird das Herz rein? Wer sind die Menschen des reinen Herzens, die Gott schauen können (Mt 5,8)? Die liberale Exegese hat gesagt, Jesus habe den rituellen Begriff von Reinheit durch deren moralische Auffassung ersetzt: An die Stelle des Kultes und seiner Welt trete die Moral. Dann wäre Christentum wesentlich Moral, eine Art moralischer Aufrüstung. Aber damit wird man der Neuheit des Neuen Testaments nicht gerecht.
Dieses wirklich Neue klingt auf, wenn Petrus in der Apostelgeschichte zu der Einrede christusgläubig gewordener Pharisäer Stellung nimmt, die fordern, die Heidenchristen müssten beschnitten werden und „am Gesetz des Mose festhalten“. Petrus erklärt darauf: Gott habe seine Entscheidung selbst getroffen, „dass die Heiden das Wort des Evangeliums hören und zum Glauben gelangen sollten … Er macht keinen Unterschied zwischen uns und ihnen; denn er hat ihre Herzen durch den Glauben gereinigt“ (15,5 – 11). Der Glaube
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