Jesus von Nazareth - Band II
Zeit im Sinn der großen Heilsverheißungen, sondern eben noch Zeit dieser Geschichte und ihrer Leiden, aber in neuer Weise auch Zeit der Hoffnung ist: „Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe“ (Röm 13,12).
Es scheint mir offenkundig, dass mehrere Gleichnisse Jesu – das Gleichnis vom Netz mit den guten und schlechten Fischen (Mt 13,47 – 50), das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker (Mt 13,24 – 30) – von dieser Zeit der Kirche sprechen; in der rein naheschatologischen Perspektive ergeben sie keinen Sinn.
Als ein Nebenthema haben wir die Aufforderung an die Christen zur Flucht aus Jerusalem im Augenblick einer nicht näher beschriebenen Tempelschändung gefunden. An der Geschichtlichkeit dieser Flucht ins transjordanische Pella kann nicht ernstlich gezweifelt werden. Dieses für uns eher am Rande liegende Detail hat doch eine nicht zu unterschätzende theologische Bedeutung: Die Nichtbeteiligung an der kriegerischen Verteidigung des Tempels, die den heiligen Ort selbst zur Festung und zum Schauplatz grausamer militärischer Aktionen machte,entspricht genau der Linie, die Jeremia zur Zeit der Belagerung Jerusalems durch die Babylonier eingeschlagen hatte (vgl. z. B. Jer 7,1 – 15; 38,14 – 28).
Joachim Gnilka macht aber vor allem auf den Zusammenhang dieser Haltung mit dem Kern von Jesu Botschaft aufmerksam: „Dass die Jerusalemer Christusgläubigen sich am Krieg beteiligten, ist höchst unwahrscheinlich. Das palästinensische Christentum hat die Bergpredigt Jesu überliefert. Sie müssen also die Gebote Jesu der Feindesliebe und des Gewaltverzichts gekannt haben. Auch wissen wir, dass sie an der Revolte zur Zeit Kaiser Hadrians nicht teilnahmen …“ (
Nazarener
, S. 69).
Ein weiteres wesentliches Element der eschatologischen Rede Jesu ist die Warnung vor Pseudo-Messiassen und vor apokalyptischer Schwärmerei. Damit verbunden ist die Aufforderung zur Nüchternheit und zur Wachsamkeit, die Jesus in einer Reihe von Gleichnissen, besonders in der Parabel von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25,1 – 13) wie in den Worten vom wachsamen Türhüter (Mk 13,33 – 36), weiter entfaltet hat. Gerade diese Worte zeigen deutlich, was mit „Wachsamkeit“ gemeint ist: nicht Aussteigen aus der Gegenwart, Spekulation auf die Zukunft, Vergessen des jetzigen Auftrags – im Gegenteil: Sie bedeutet, hier und jetzt das Rechte zu tun, wie man es unter den Augen Gottes tun sollte.
Matthäus und Lukas überliefern das Gleichnis von dem Knecht, der die Verzögerung der Wiederkunft seines Herrn feststellt und nun, da der Herr abwesend scheint, sich selbst zum Herrn aufwirft, die Knechte und Mägde schlägt, sich dem Wohlleben überlässt. Der gute Knecht bleibt Knecht, er weiß sich in der Verantwortung. Er teiltallen das Rechte zu, und er wird vom Herrn gelobt, weil er so handelt: Das Tun der Gerechtigkeit ist die wahre Wachsamkeit (vgl. Mt 24,45 – 51; Lk 12,41 – 46). Wachsam sein heißt: sich jetzt unter den Augen Gottes wissen und so handeln, wie man es unter seinen Augen tut.
Drastisch und konkret hat Paulus im Zweiten Thessalonicher-Brief seinen Adressaten gesagt, worin christliche Wachsamkeit besteht: „Als wir bei euch waren, haben wir euch die Regel eingeprägt: Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen und alles Mögliche treiben, nur nicht arbeiten. Wir ermahnen sie und gebieten ihnen im Namen Jesu Christi, des Herrn, in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen und ihr selbstverdientes Brot zu essen“ (3,10ff).
Ein weiteres wichtiges Element der eschatologischen Rede Jesu ist der Hinweis auf die bevorstehenden Verfolgungen der Seinigen. Auch hier ist die Zeit der Heiden vorausgesetzt, denn der Herr spricht nicht nur davon, dass seine Jünger vor Gerichte und Synagogen gestellt würden, sondern auch vor Statthalter und Könige (Mk 13,9): Die Verkündigung des Evangeliums wird immer im Zeichen des Kreuzes stehen – das ist es, was die Jünger Jesu in allen Generationen neu erlernen müssen. Das Kreuz ist und bleibt das Zeichen „des Menschensohnes“: Wahrheit und Liebe haben letztlich im Kampf gegen die Lüge und die Gewalt keine andere Waffe als das Zeugnis des Leidens.
Kommen wir nun zum eigentlich apokalyptischen Teil der eschatologischen Rede Jesu: zur Ankündigung von Ende der Welt, Wiederkunft des Menschensohnes und allgemeinem Gericht (Mk
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