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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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Evangelium zu allen Völkernkommen. Das Empfinden für diese Dringlichkeit hat sich in manchen Geschichtsperioden erheblich abgeschwächt, ist aber auch immer wieder aufgeflammt und zu neuer Dynamik der Evangelisierung geworden.
    Dabei steht stets auch die Frage nach der Sendung Israels im Hintergrund. Wir sehen heute mit Erschütterung, wie viele folgenschwere Missverständnisse hier die Jahrhunderte belastet haben. Eine neue Besinnung kann aber doch erkennen, dass bei allen Verdunklungen immer wieder Ansätze des rechten Verstehens zu finden sind.
    Ich möchte hier auf das verweisen, was Bernhard von Clairvaux seinem Schüler Papst Eugen III. zu diesem Punkt mit auf den Weg gegeben hat. Er erinnert den Papst daran, dass ihm nicht nur die Sorge für die Christen aufgetragen ist, sondern: Du bist „auch der Schuldner der Ungläubigen, der Juden, der Griechen und Heiden“ (
De cons.
III/I,2). Gleich darauf aber verbessert er sich und präzisiert: „Zugegeben, hinsichtlich der Juden entschuldigt dich die Zeit, für sie ist ein bestimmter Zeitpunkt festgelegt, dem man nicht vorgreifen kann. Die Heiden müssen in voller Zahl vorausgehen. Doch was sagst du bezüglich der Heiden selbst?   … Was kam deinen Vorgängern in den Sinn, dass sie   … die Glaubensverkündigung unterbrachen, solange der Unglaube noch verbreitet ist? Aus welchem Grund   … ist das rasch dahineilende Wort zum Stillstand gekommen?“ (
De cons.
III/I,3, zit. nach Winkler I, S.   707).
    Hildegard Brem kommentiert diese Stelle so: „Im Anschluss an Röm 11,25 muss sich die Kirche nicht um die Bekehrung der Juden bemühen, da der von Gott dafür festgesetzte Zeitpunkt, ‚bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangt haben’ (Röm 11,25), abgewartet werden muss.Im Gegenteil, die Juden sind selbst eine lebendige Predigt, auf die die Kirche hinweisen muss, da sie das Leiden des Herrn vergegenwärtigen   …“ (Winkler I, S.   834).
     
    Die Ankündigung der Zeit der Heiden und der darin enthaltene Auftrag ist ein Kernstück der eschatologischen Botschaft Jesu. Der besondere Auftrag zur Heidenmission, den Paulus vom Auferstandenen empfangen hat, ist fest verankert in der Botschaft, die Jesus vor seinem Leiden seinen Jüngern übergab. Die Zeit der Heiden – „die Zeit der Kirche“   –, die, wie wir gesehen haben, Überlieferungsgut aller Evangelien ist, stellt ein wesentliches Element der eschatologischen Botschaft Jesu dar.

PROPHETIE UND APOKALYPSE IN DER ESCHATOLOGISCHEN REDE
     
     
    V ersuchen wir, bevor wir zu dem im engeren Sinn apokalyptischen Teil der Rede Jesu kommen, einen Überblick zu gewinnen über das, was uns bisher begegnet ist.
    Da finden wir als Erstes die Ankündigung der Tempelzerstörung und bei Lukas auch ausdrücklich der Zerstörung Jerusalems. Es ist aber deutlich geworden, dass der Kern der Vorhersage Jesu nicht auf die äußeren Kriegs- und Zerstörungshandlungen zielt, sondern auf das heilsgeschichtliche Ende des Tempels, der zum „verlassenen Haus“ wird: Er hört auf, der Ort der Gegenwart Gottes und die Entsühnungsstätte Israels, ja der Welt zu sein. Die Zeit der Opfer, wie sie das Gesetz Moses geregelt hatte, ist vorbei.
    Wir haben gesehen, dass sich die werdende Kirche lange vor dem äußeren Ende des Tempels dieser tiefen Wendung der Geschichte bewusst war und dass bei allen schwierigen Auseinandersetzungen darüber, was von den jüdischen Gebräuchen beibehalten und auch für die Heiden verbindlich werden müsse, über diesen Punkt offenbar kein Dissens bestand: Mit dem Kreuz Christi war die Zeit der Opfer zu Ende.
     
    Des Weiteren haben wir gesehen, dass zum Kern der eschatologischen Botschaft Jesu die Ankündigung einer Zeit der Völker gehört, in der das Evangelium in die ganze Welt und zu allen Menschen getragen werden muss: Erst dann kann die Geschichte an ihr Ziel kommen.
    In der Zwischenzeit behält Israel seine eigene Sendung. Es steht in den Händen Gottes, der es zur rechten Zeit „als Ganzes“ retten wird, wenn die Zahl der Heiden voll ist. Dass man die geschichtliche Erstreckung dieser Periode nicht abschätzen konnte, ist offenkundig und auch nicht verwunderlich. Aber dass die „Evangelisierung der Heiden“ nun zur eigentlichen Aufgabe der Jünger geworden war, wurde immer deutlicher – vor allem dank des besonderen Auftrags, mit dem sich Paulus beladen und begnadet wusste. Von da aus versteht sich nun auch, dass diese „Zeit der Heiden“ noch nicht eigentlich messianische

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