Jesus von Nazareth - Band II
reinigt das Herz. Er kommt aus der Zuwendung Gottes zum Menschen. Er ist nicht einfach ein eigener Entschluss der Menschen. Er kommt zustande, weil Menschen von innen her durch Gottes Geist berührt werden, der ihnen das Herz öffnet und es rein macht.
Johannes hat dieses große Thema der Reinigung, das in der Petrus-Rede nur kurz anklingt, im Fußwaschungs-Bericht und unter dem Stichwort „Heiligung“ im HohepriesterlichenGebet Jesu aufgenommen und vertieft. „Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesagt habe“, versichert Jesus seinen Jüngern in der Weinstock-Rede (15,3). Es ist sein Wort, das in sie eindringt, ihr Denken und Wollen, ihr „Herz“ umgestaltet und es so öffnet, dass es ein sehendes Herz wird.
Beim Bedenken des Hohepriesterlichen Gebets werden wir der gleichen, freilich etwas anders gewendeten Sicht wieder begegnen, wenn wir dort die Bitte Jesu finden: „Heilige sie in der Wahrheit“ (17,17). „Heiligen“ heißt in der priesterlichen Terminologie: kultfähig machen. Das Wort bezeichnet die rituellen Handlungen, die der Priester vollziehen muss, bevor er vor Gott hintritt. „Heilige sie in der Wahrheit“ – die Wahrheit ist nun das „Bad“, das den Menschen gottfähig macht, so lässt uns Jesus hier verstehen. In sie muss der Mensch eingetaucht werden, damit er von dem Schmutz frei wird, der ihn von Gott trennt. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass Johannes nicht einen abstrakten Begriff von Wahrheit vor Augen hat, sondern darum weiß, dass Jesus in Person die Wahrheit ist.
Im 13. Kapitel des Evangeliums erscheint die Fußwaschung durch Jesus als Weg der Reinigung. Noch einmal wird das Gleiche ausgesagt und doch wiederum in einer anderen Perspektive. Das Bad, das uns reinigt, ist die bis in den Tod hineingehende Liebe Jesu. Jesu Wort ist nicht nur Wort, er ist es selbst. Und sein Wort ist die Wahrheit und ist die Liebe.
Im Grunde ist es durchaus das Gleiche, was Paulus in einer für uns schwerer verständlichen Form ausdrückt, wenn er sagt: „Wir sind durch sein Blut gerecht gemacht“ (Röm 5,9; vgl. Röm 3,25; Eph 1,7 u. a.). Es ist wiederumdas Gleiche, was der Hebräer-Brief in seiner großen Vision vom Hohepriestertum Jesu dargestellt hat. An die Stelle der rituellen Reinheit ist nicht einfach die Moral getreten, sondern das Geschenk der Begegnung mit Gott in Jesus Christus.
Erneut drängt sich der Vergleich mit den platonischen Philosophien der Spätantike auf, die – wie wiederum etwa bei Plotin – um das Thema der Reinigung kreisen. Diese Reinigung wird einerseits durch Riten, andererseits, und vor allem, durch den allmählichen Aufstieg des Menschen in die Höhe Gottes gewonnen. Der Mensch reinigt sich darin vom Materiellen, wird Geist und so rein.
Im christlichen Glauben dagegen ist es gerade der fleischgewordene Gott, der uns wahrhaft rein macht und die Schöpfung in die Einheit mit Gott hineinzieht. Die Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts hat dann den Begriff der Reinheit wieder vereinseitigt, ihn immer mehr auf die Frage der Ordnung im sexuellen Bereich hin verengt und damit auch wieder mit dem Verdacht gegen das Materielle, gegen den Leib belastet. In dem verbreiteten Suchen der Menschheit nach Reinheit zeigt uns das Johannes-Evangelium – zeigt uns Jesus selbst – den Weg: Er, der Gott ist und Mensch zugleich, macht uns gottfähig. Das Stehen in seinem Leib, das Durchdrungenwerden von seiner Gegenwart ist das Wesentliche.
Vielleicht ist es gut, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Umgestaltung des Begriffs der Reinheit in der Botschaft Jesu noch einmal zeigt, was wir im 2. Kapitel über das Ende der Tieropfer, über den Kult und den neuen Tempel gesehen haben. Wie die alten Opfer ein wartender Ausgriff nach Kommendem waren, ihr Licht undihre Würde von dem Kommenden empfingen, auf das sie zugehen wollten, so ist auch das rituelle Reinigungswesen, das diesem Kult zugehörte, mit ihm – wie die Väter sagen würden – „sacramentum futuri“: eine Etappe in der Geschichte Gottes mit den Menschen, der Menschen mit Gott, die auf das Künftige hin öffnen wollte, aber zurücktreten musste, als die Stunde des Neuen gekommen war.
Sacramentum und exemplum – Gabe und Auftrag: Das „neue Gebot“
K ehren wir zurück zum 13. Kapitel des Johannes-Evangeliums. „Ihr seid rein“, sagt Jesus zu seinen Jüngern. Das Geschenk der Reinheit ist eine Tat Gottes. Der Mensch kann sich nicht selbst gottfähig machen,
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