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Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)

Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)

Titel: Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI.,
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und Johannes einander zugeordnet.
    Bevor wir uns dem Inhalt der Texte zuwenden, ist ein kurzes Wort über deren literarische Eigenart nötig. In je anderer Weise sind bei Matthäus wie bei Lukas die Ereignisse der Kindheit Jesu engstens mit Worten aus dem Alten Testament verbunden. Matthäus weist die Zusammenhänge für den Leser jeweils durch entsprechende alttestamentliche Zitate nach; Lukas spricht über das Geschehen mit Worten aus dem Alten Testament – mit Anspielungen, die im Einzelfall oft wie zufällig sein können und nicht immer als solche nachweisbar sind, aber im Ganzen doch unverkennbar das Gewebe der Texte formen.
    Bei Lukas scheint ein hebräischer Text zugrunde zu liegen; jedenfalls ist die ganze Darstellung von Semitismen geprägt, die sonst für ihn nicht typisch sind. Man hat die Eigenart dieser zwei Kapitel Lk 1–2 von einer frühjüdischen Literaturgattung her zu verstehen versucht und spricht von einem „haggadischen Midrasch“, das heißt von Schriftauslegung durch Erzählungen. Die literarische Ähnlichkeit ist unbestreitbar. Und doch ist klar, dass die lukanische Kindheitsgeschichte nicht ins frühe Judentum, sondern eben in die frühe Christenheit gehört.
    Es ist mehr: Hier wird eine Geschichte erzählt, die die Schrift auslegt; und umgekehrt: Was die Schrift an vielenStellen sagen wollte, wird nun erst sichtbar durch diese neue Geschichte. Es ist eine Geschichte, die ganz aus dem Wort kommt und die doch dem Wort erst seine volle Bedeutung gibt, die vorher noch nicht erkennbar war. Die hier erzählte Geschichte ist nicht einfach eine Illustration für die alten Worte, sondern die Wirklichkeit, auf die die Worte warteten. Sie war in den Worten allein nicht erkennbar, aber die Worte kommen zu ihrer ganzen Bedeutung durch das Ereignis, in dem sie Wirklichkeit werden.
    Wenn es so ist, fragt man sich: Woher kennen Matthäus und Lukas die von ihnen erzählte Geschichte? Was sind ihre Quellen? Joachim Gnilka sagt mit Recht dazu, es handle sich offenbar um Familientraditionen. Lukas deutet gelegentlich an, dass Maria, die Mutter Jesu, selbst zu seinen Quellen gehört, so besonders wenn er in 2,51 sagt, dass „seine Mutter all die Worte (= Ereignisse) in ihrem Herzen bewahrte“ (vgl. auch 2,19). Nur sie konnte über das Ereignis der Verkündigung berichten, das keine menschlichen Zeugen hatte.
    Natürlich wird die moderne „kritische“ Exegese solche Zusammenhänge als einfältig insinuieren. Aber warum sollte es nicht eine solche Überlieferung gegeben haben, die im engsten Kreis festgehalten und dabei theologisch geformt worden ist? Warum sollte Lukas die Aussage über das Bewahren der Worte und der Ereignisse im Herzen Marias erfunden haben, wenn es keinen konkreten Anhalt dafür gab? Warum sollte er von ihrem „Bedenken“ der Worte (2,19; vgl. 1,29) gesprochen haben, wenn man nichts davon wusste?
    Ich würde hinzufügen, dass sich so auch das späte Auftreten vor allem der marianischen Überlieferungen aus derDiskretion der Mutter und der Kreise um sie erklärt: Die heiligen Begebenheiten am Morgen ihres Lebens konnten nicht öffentliche Überlieferung werden, solange sie selbst am Leben war.
    Fassen wir zusammen: Matthäus und Lukas wollten in ihrer je eigenen Art nicht „Geschichten“ erzählen, sondern Geschichte schreiben, wirkliche, geschehene Geschichte, freilich gedeutete und vom Wort Gottes her verstandene Geschichte. Das bedeutet auch, dass es nicht um ein vollständiges Erzählen ging, sondern um das Aufzeichnen dessen, was im Licht des Wortes und für die werdende Gemeinde des Glaubens als wichtig erschien. Die Kindheitsgeschichten sind gedeutete und von der Deutung her geschriebene, konzentrierte Geschichte.
    Zwischen dem deutenden Wort Gottes und der deutenden Geschichte gibt es ein wechselseitiges Verhältnis: Das Wort Gottes lehrt, dass in den Ereignissen „Heilsgeschichte“ ist, die alle angeht. Die Ereignisse selbst aber schließen ihrerseits das Wort Gottes auf und lassen nun die reale Wirklichkeit erkennen, die sich in den einzelnen Texten verbirgt.
    Es gibt eben im Alten Testament Worte, die sozusagen noch herrenlos bleiben. Marius Reiser macht in diesem Zusammenhang etwa auf Jes 53 aufmerksam. Man konnte den Text auf diese oder jene Gestalt beziehen, etwa auf Jeremia. Aber der wahre Eigentümer der Texte lässt noch auf sich warten. Erst wenn er erscheint, erhält das Wort seine volle Bedeutung. Wir werden sehen, dass es um Jes  7,14 ähnlich steht. Die

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