Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
in seiner Sendung doch die Erwartung, Elija werde wiederkehren und das Volk Gottes reinigen und neu aufrichten, es bereiten für die Ankunft des Herrn selbst. Johannes wird damit einerseits in die Kategorie der Propheten eingereiht und doch zugleich über sie hinausgehoben, da der wiederkommende Elija der Wegbereiter für Gottes eigenes Kommen ist. So wird in diesen Texten im Stillen die Gestalt Jesu, sein Kommen mit dem Kommen Gottes selbst identifiziert. In Jesus kommt der Herr selber und gibt damit der Geschichte ihre endgültige Richtung.
Der Prophet Daniel ist die zweite prophetische Stimme, die im Hintergrund unserer Geschichte steht. Nur im Buch Daniel kommt der Name Gabriel vor. Dieser große Gottesbote erscheint dem Propheten „zur Zeit des Abendopfers“ (Dan 9,21), um Botschaft über die künftigen Geschicke des erwählten Volkes zu bringen. Den Zweifeln des Zacharias gegenüber offenbart sich der Gottesbote als „Gabriel, der vor dem Angesicht Gottes steht“ (Lk 1,19).
Im Daniel-Buch gehören zu den Offenbarungen, die Gabriel übermittelt, die geheimnisvollen Zahlenangaben über bevorstehende Nöte und die Zeit der endgültigenRettung, die inmitten aller Bedrängnisse anzukündigen der eigentliche Auftrag des Erzengels ist. Mit diesen verschlüsselten Zahlen hat sich sowohl das jüdische wie das christliche Denken immer wieder befasst. Besondere Aufmerksamkeit hat dabei die Verheißung der 70 Wochen gefunden, die „für dein Volk und deine heilige Stadt bestimmt sind …, bis ewige Gerechtigkeit gebracht wird …“ (9,24). René Laurentin hat zu zeigen versucht, dass die Kindheitsgeschichte des Lukas einer genauen Chronologie folge, wonach von der Ankündigung des Zacharias bis zur Darstellung Jesu im Tempel 490 Tage verflossen seien, also 70 Wochen zu je 7 Tagen (vgl. Struktur und Theologie …, a. a. O., S. 56 f). Ob Lukas bewusst eine solche Chronologie aufgebaut hat, muss offen bleiben.
In der Erzählung von der Erscheinung des Erzengels Gabriel zur Stunde des Abendopfers darf man aber wohl einen Hinweis auf Daniel, auf die Verheißung der ewigen Gerechtigkeit sehen, die in die Zeit eintritt. So würde uns auf diese Weise gesagt: Die Zeit ist erfüllt. Das verborgene, von der großen Öffentlichkeit der Welt nicht wahrgenommene Ereignis, das sich beim Abendopfer des Zacharias zuträgt, zeigt in Wirklichkeit die eschatologische Stunde an – die Stunde des Heils.
Die Verkündigung an Maria
I m sechsten Monat wurde der Engel Gabriel in eine Stadt in Galiläa namens Nazareth zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria“ (Lk 1,26 f). Die Verkündigung der Geburt Jesu istmit der Geschichte Johannes des Täufers zunächst chronologisch verbunden durch die Angabe der Zeit seit der Botschaft des Erzengels Gabriel an Zacharias, nämlich „im sechsten Monat“ der Schwangerschaft Elisabeths. Beide Begebenheiten und beide Sendungen werden in diesem Abschnitt aber auch durch die Mitteilung verbunden, dass Maria und Elisabeth und so auch ihre Kinder leiblich miteinander verwandt sind.
Der Besuch Marias bei Elisabeth, der sich als Folge aus dem Gespräch zwischen Gabriel und Maria ergibt (vgl. Lk 1,36), führt noch vor der Geburt zu einer Begegnung im Heiligen Geist zwischen Jesus und Johannes, und in dieser Begegnung wird zugleich die Zuordnung ihrer Sendungen sichtbar: Jesus ist der Jüngere, der später Kommende. Aber er ist es, dessen Nähe Johannes im Mutterschoß hüpfen lässt und Elisabeth mit Heiligem Geist erfüllt (vgl. Lk 1,41). So erscheint der Sache nach schon in den Verkündigungsund Geburtsgeschichten des heiligen Lukas das, was der Täufer im Johannes-Evangelium sagen wird: „Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war“ (1,30).
Zunächst aber gilt es, die Geschichte der Verkündigung der Geburt Jesu an Maria näher zu betrachten. Sehen wir uns zuerst die Botschaft des Engels an, dann die Antwort Marias.
Am Gruß des Engels fällt auf, dass er Maria nicht mit dem üblichen hebräischen Grußwort schalom – Friede sei mit dir – begrüßt, sondern mit der griechischen Grußformel chaĩre, die man ruhig mit „Gegrüßt seist du“ übersetzen darf, wie es in dem Mariengebet der Kirche geschieht, das aus Worten der Verkündigungsgeschichte zusammengesetztist (vgl. Lk 1,28.42). Dennoch ist es richtig, an dieser Stelle die
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