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Jesuslatschen - Größe 42

Jesuslatschen - Größe 42

Titel: Jesuslatschen - Größe 42 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Paul
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dass der Vater rein von der Ausstrahlung noch jünger ist als sein
Sohn. Er selbst ist vierundachtzig und sein Sohn fünfundsechzig Jahre alt.
Vater und Sohn wohnen noch als einzige hier auf diesem Hof. Die Enkel wohnen in
der Stadt und kommen nur noch zu Besuch. Eine Minifamilie im Alter wieder
zusammengefügt. Ein gewisser Stolz, gepaart mit Wehmut über das Schicksal
dieser Gegend, verbinden Vater und Sohn. Wir verabschieden uns händeschüttelnd
und schulterklopfend. Beide wünschen mir einen guten Weg, ich ihnen Gesundheit
und einen guten Tag. Als ich ungefähr fünf Meter von ihnen entfernt bin, möchte
ich ihnen etwas geben. Es ist der Situation der beiden Bauern geschuldet.

    Ich
bleibe stehen und singe die ersten Strophen von dem Volkslied „An der Saale
hellem Strande“. Das haben wir vor vierzig Jahren in der Schule gelernt. Die
erste und zweite Strophe sitzen noch.
     
    An der Saale hellem Strande
     
    „An der Saale hellem Strande
    Stehen Burgen stolz und kühn
    Ihre Dächer sind zerfallen
    Und der Wind streicht durch die
Hallen,
    Wolken ziehen d’rüber hin.
     
    Zwar die Ritter sind
verschwunden,
    Nimmer klingen Speer und
Schild;
    Doch dem Wandersmann erscheinen
    In den altbemoosten Steinen
    Oft Gestalten zart und mild.“
    Volkslied
     
    Die
zwei stolzen Ritter nehmen diese Kulturbeigabe an und freuen sich des Tages.
Ich habe eine klitzekleine Träne im Augenwinkel, die Sorge der beiden Señores
hat mich schon bewegt. In dieser Gegend ist der Boden fruchtbar, die Sonne
scheint, und es regnet alle Nase lang. Ein Segen für die Landwirtschaft. Es ist
schade, dass die Landflucht hier solche gravierenden Spuren hinterlässt. Es
gibt kein zurück mehr. Gerade in Asturien geht man an vielen unbewohnten, verlassenen Höfen vorbei. Ganze Siedlungen
scheinen aufgegeben. Die jungen Menschen zieht es in die Städte und die Alten
möchten das über Generationen Vererbte und Geschaffene nicht aufgeben. Ein
weiterer Grund dafür ist eine gewaltige Auswanderungswelle, welche von der
Jahrhundertwende bis ca. 1980 einige Millionen Spanier, meist in
südamerikanische Länder, auswandern lies. Gerade die ärmeren Küstenregionen
sind davon schwer getroffen. Seit 1980 erfährt Spanien einen wirtschaftlichen
Aufschwung.
    Ergeht
es mir zurzeit nicht ähnlich? Bloß umgekehrt, selbst werde ich mein Elternhaus in
absehbarer Zeit verlassen und aufs nahe Land ziehen. Mit wehenden Fahnen kann
ich das einfach nicht, es tut weh.
     
     
    „Nimm es von den Alten um es zu
erhalten.“
    Goethe (Faust)
     
     
    Wie
ich so gehe und über meine eigene Situation nachsinne, bin ich schon am nächsten
verlassenen Hof. Der weitere Weg führt noch einmal ordentlich bergauf. Bis über
den Pass, das ganze bei dreißig Grad im Schatten, eine Qual. In Abadin treffe ich auf einen Spanier, welcher zwanzig Jahre
lang in der Schweiz gearbeitet hat. Wir unterhalten uns in der Sprache
Spanisch-Schwyzerdütsch. Eine ganz neue, interessante Form der Konversation.
Eigentlich spielt das gar keine Rolle, es kommt immer auf das Gegenüber an.
Stehen die Antennen auf Empfang, oder will man nur senden, dann ist es wie zappen.
    Ein
Kilometer weiter, sehe ich das italienische Pilgerpaar Claudio und Patricia.
Wo? An einer Bushaltestelle. Beide sind sichtlich erschöpft und möchten nicht
hier in der Turnhalle auf Gymnastikmatten liegen. Ich übrigens auch nicht, aber
Bus fahren kommt gar nicht in Frage! Letztendlich lande ich in einem einfachen
Zimmer im Café „Casa Goas“, unweit der Bushaltestelle. Es tut gut, zu duschen
und in einem frisch bezogenen Bett zu schlafen.
     
    Gute
Nacht, Eva und Joachim, Anke und Micha.

Mittwoch, 10.05.2006
    Abadin - Vilalba
     
    Die
Sonne reckt sich aus dem Nebel und sendet Lebensfreude. Felipes Worte in
ähnlicher morgendlicher Wetterlage fallen mir ein, „ Neblo levantar “. Hinter dem Ort ist die Landschaft flach
und etwas eintönig. Auf solchen langen Strecken, ohne sichtbares Ziel vor dem
Auge, einfach immer nur seinen Schritt zu hören, erzeugt eine seltsame Situation.
Es ist gerade so, als ob sich fremde Menschen im Fahrstuhl begegnen. Man ist
sich stellenweise selber fremd. Irgendwie habe ich dabei das Gefühl, als ob der
aktive Körper und die Gedanken sich gegenüberstehen und nicht wissen, was sie
miteinander anstellen können. So nach dem Motto, einer muss doch aus purer
Höflichkeit etwas sagen, einen Dialog in Gang bringen.
    Nach
einigen Kilometern gelange ich wieder auf die sicher ursprüngliche Piste.

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