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Jesuslatschen - Größe 42

Jesuslatschen - Größe 42

Titel: Jesuslatschen - Größe 42 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Paul
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bronzene Dichter Alvara Cunquerio Mora. Guten Morgen, stummer Zeitzeuge. Beim
Hinausgehen bekomme ich am Tresen den Pilgerstempel und ein forsches „Buen
Camino“ mit auf den Weg. Den Traum, die Orgel in der Kathedrale zu hören, habe
ich noch nicht ausgeträumt. Also gehe ich abermals in dieses dadurch
geheimnisvolle Bauwerk. Die beiden Orgelflügel aber bleiben nach wie vor stumm.
In einer Nische sehe ich die Statue eines Pilgers, welcher dem Betrachter seine
stark blutende Bisswunde am Bein zeigt. Ein Albtraum. Demnach ist dieses
Problem nicht so ganz jung und die Hunde hatten schon schätzungsweise vor
dreihundert Jahren diese wehrlose Zielgruppe auserkoren. Der Hund vor dem
blutenden Pilger war dem Künstler wohl nur vom Hörensagen bekannt. Denn der
Kopf des vermeintlichen Hundes ähnelt eher dem Schädel eines jungen Nilpferdes.
In der Kathedrale höre ich ständig ein ungewöhnlich lautes Klingeln. Als ich
auf den Platz hinauskomme, erkenne ich die Ursache für den antiken Klingelton.
An einem Mast hängt ein Taxi-Schild und darunter so eine Art Feldtelefon. Da
kein Chauffeur in der Nähe ist, klingelt es eben ununterbrochen. Das scheint
hier niemanden zu stören. Ich glaube fast , wenn es an
dieser Stelle nicht mehr klingelt, fehlt den Leuten etwas. Nun stolpere ich zum
dritten Mal über die Zeit. Ganz unbewusst zähle ich schon im Gehen die Schläge
der Turmuhren. Endlich hab ich es herausbekommen. Diese Uhr schlägt bei jeder
viertel Stunde an. Zur vollen Stunde schlägt sie einmal an, dann hält die
Mechanik kurz inne, um nun die Stundenzeit zu schlagen. Verwirrende Zeiten hier
in Mondonedo . Wieder denke ich an den Uhrmacher, aber
ob die Mondonedos das wollen? Viele Turmuhren, zu
denen ich unterwegs aufschaute, hatten gar keine Zeiger. Für mich sind das die
idealen Pilgeruhren und für die Köllner Band „BAP“ sind es „Franz Kafka Uhren“.
     
     
    „Kristallnacht“
    BAP
     
     
    Die
Uhrzeit spielt für mich seit zehn Tagen, nachdem Großvaters Taschenuhr
mechanisch verstummt ist, kaum noch eine Rolle. So kann man Zeit einfach
loslassen. Eine völlig neue Bedeutung für „sich Zeit lassen“.

    Unbedingt
möchte ich noch zum Friedhof, der mir gestern im Vorbeigehen durch seine
moderne Gestaltung aufgefallen ist. Das ist der erste Friedhof, welcher
geöffnet ist, er ist geradezu öffentlich. Eine moderne Stahlkonstruktion gleich
am Portal gefällt mir als Kontrast zu den alten Mauern. Überall stehen Bänke,
im oberen Bereich des terrassenförmigen Geländes befindet sich sogar ein
Spielplatz. Hier hat sich jemand ernsthaft Gedanken über Leben und Tod gemacht.
Als ich durch ein zerschlagenes Fenster in eine der Grüften schaue, sehe ich Jesus am Kreuz. Hier bricht die Sonne durch die teilweise
kaputten Scheiben und wirft verspielt farbige Schatten an die Wand. Spontan
fällt mir hier der Song „Shadow on the Wall“ von
Roger Chapmann ein und wird zum heutigen Ohrwurm. Die
Morgensonne scheint mir ins Gesicht, ich genieße diese Stunde auf einer dieser
ungewöhnlich einladenden Friedhofsbänke.
    Nach
kurzer Zeit durchfährt es mich freudig, am Himmel höre ich ein altbekanntes
Geräusch, das Fietschen eines Mauerseglers. „Margarete,
die Fietscher sind wieder da!“ Mit dem Tag Anfang
Mai, an welchem der erste Mauersegler zu Hause über dem Garten zu sehen ist,
hat es in unserer Großfamilie eine besondere Bewandtnis. Ganz einfach, wer in
Anwesenheit dieser Flugkünstler zuerst das Wort „ Fietscher “
ausspricht, muss einen ausgeben. Das Ganze hat bei uns den Stellenwert wie
„Dinner for one “
alljährlich am Silvesterabend im Deutschen Fernsehen.
    Mit
Spendierhosen laufe ich zur Telefonzelle, um meinem Vater das verbotene Wort
mitzuteilen. Was erfahre ich? Die „ Fietscher “ sind
auch schon in Merseburg und es hat sich schon ein Delinquent gefunden, der
zahlt. Dank der „ Fietscher “ war ich ein paar freudige
Minuten lang zu Hause.
    Ehe
die Sonne noch höher steigt, heißt es Abschied nehmen von diesem schönen Ort.
Etwas hat mich hier gefesselt, beschreiben kann ich es nicht.
    Einmal
komme ich noch am Barbiersalon vorbei, der Meister ist ausgeflogen, das
Geschäft geschlossen. Auch der „ Esterilisator “ hat
frei. Ein Stück hinter dem Friseurladen denke ich mir eine Abkürzung aus. Zur
Bestätigung frage ich zwei sehr alte Frauen nach dem Camino. Sie weisen mit
einer Bestimmtheit in die von mir eingeschlagene Richtung. Erst gefühlte drei
Kilometer weiter erklärt ein Bauer

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