Jesuslatschen - Größe 42
rollend erwidert. In der vergangenen Zeit habe ich festgestellt,
dass den Spaniern die Fernseher in der Öffentlichkeit heilig sind. So auch in
dieser „ Peluquería “ (Friseursalon). Der Fernseher in
Sichtnähe sprudelt leise vor sich hin, wie ein Aquarium. Auf dem Televisor thront still die heilige Maria. Die Wertigkeit
legt jeder für sich selber fest. Es ist jedenfalls undenkbar, dass auf Maria
ein stiller Fernseher thront. An der Wand das „Goldene Diplom“ und der entspannt
auf dem Stuhl sitzende, unblutige Kunde flößen mir Vertrauen ein.
Meine
Aufmerksamkeit erweckt ein Tischgrill, ein großer, altmodischer Apparat aus
dessen Inneren tiefblaues Licht blaut. Ähnlich dem eingeschlossenen Gralskelch
unterwegs in der kleinen Kirche. Durch eine kleine Glasscheibe sieht man im
blauen Licht Kämme, Scheren und Rasiermesser. Den Kasten ziert der Schriftzug „ Esterilisator “. Vertrauensbildend, solch eine Technik zum
Wohle des Kunden. Nicht, dass ich bei so einer Sonderbehandlung noch zehn Euro
Praxisgebühr löhnen muss. In Deutschland durchaus vorstellbar.
Nun
bin ich an der Reihe, der bärtige Barbier bekommt mit knappen Gesten zu
verstehen, dass er die Haare nicht kürzen soll. Nur der Bart soll an den Wangen
abrasiert werden. Etwas schwer fällt es mir schon, den Pilgerbart abzunehmen,
aber ich gefalle mir nicht mehr. Ich bin doch kein Korsar mit Fell im Gesicht.
Ich bin Rüdiger Paul, auf dem Weg nach Santiago. Nicht mehr und nicht weniger.
Die
Schere klappert mit dem Regulator an der Wand um die Wette. Das Duell gewinnt
der Meister, gelernt ist gelernt. Ungewöhnlich, dass hier jemand die Zeit
hinter sich lässt. Die Rasur ist eine Muse, weicher Rasierschaum wird mehrfach
mit dem Pinsel förmlich einmassiert. Jetzt gewinnt der Regulator langsam wieder
die Oberhand. Das Rasiermesser wird gewetzt und mit leichter Hand kaum spürbar
der Bart entfernt. Zum Vorschein kommt mein Gesicht. Danke und Adiós, „Barbier
von Mondonedo “.
Rossini
hätte auch diesen Maestro besingen können, vielleicht wäre ihm Folgendes
erspart geblieben: Die Uraufführung des „Barbier von Sevilla“ war ein Fiasko,
der Spieler eines Saiteninstrumentes fiel der Länge nach hin, nachdem eine
Saite gerissen war. Auf der Bühne hatte sich eine Katze verirrt. Das Publikum
lachte und tobte. Nach heftigen Buh-Rufen wurde die Premiere abgebrochen und
der Vorhang fiel. Die Uraufführung in diesem Salon ist weniger spektakulär und
so verlasse ich ohne Schnittwunden, frisch rasiert die Peluquería .
Zurück in der Herberge. Hier formiert sich gerade eine illustre, mehrsprachige
Gesprächsrunde. Zu erfahren ist, dass diese Herberge erst im Jahre 2004
eröffnet wurde. Die alte Herberge befand sich im Haus des „Cruz Roja “ (Rotes Kreuz). Diese heutige Herberge ist eine
architektonische Wohltat. Mit viel Raffinesse und Liebe zum Ursprünglichen,
wurde sie an die Mauer einer alten Kirche angebaut. In Galicien wird in den
letzten Jahren viel für den Erhalt der Alberguen unternommen.
Claudio
und Patricia haben noch zu Wein und Pizza im Ort eingeladen, heute lehnte ich
dankend ab. Der Tag war lang und sehr anstrengend. Als ich im Bett liege,
schlägt die nahe Kirchturmuhr gerade acht Mal. Verwundert schlafe ich ein, ich
bin der festen Überzeugung, es ist erst 19:00 Uhr.
Gute
Nacht, ihr Dichter, Orgelspieler und Friseure.
Dienstag,
09.05.2006
Mondonedo - Abadin
In
der Nacht spüre ich starke Schmerzen in den Knien. Am frühen Morgen erfolgt ein
vorsichtiger Versuch, die Beine durchzustrecken. Es geht besser als gedacht,
die Nacht hat alles wieder ausgebügelt. Das ist auch der selbst verordneten
zeitigen Nachtruhe zu verdanken. Es ist auch schon ein kleines Ritual geworden,
abends und morgens die Problemzonen (Füße, Gelenke, Waden) zu salben und zu
massieren. Zufälligerweise schlägt die Uhr wieder acht, als ich mit beiden
Beinen marschbereit auf spanischem Boden, vor der Herberge stehe. Erneut bin
ich der festen Überzeugung, es ist erst 7:00 Uhr, seltsam. Ein herrlicher Tag
liegt in der Luft, das spürt man. Kaffeeduft erreicht mich aus dem „Café el Peregrino “ (Pilgercafé),
nichts wie rein in die gute Stube. Es ist ein schönes Gefühl, wieder einen
„jungfräulichen“ Tag vor sich zu haben. Die Sinne werden durch das Aroma des
frischen Kaffees und dem buttrigen Geschmack eines warmen Croissants angeregt.
Das Café liegt oberhalb der Kathedrale vor einem weiten hellen Platz. Direkt im
Blickfeld, der
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