Jetlag
"Claire, es gibt nichts schlimmeres als einen häuslichen Mann! Ich habe es satt, mir steht's bis hier hin - Oberkante Unterlippe, kapiert? Nein, die Ehe habe ich mir anders vorgestellt. Ganz anders!"
"Könntest du mir einfach nur erzählen, was passiert ist?" bat Claire mit dumpfer Stimme. Sie merkte, daß sie Kopfschmerzen bekam. Außerdem nervte sie die Situation.
"Ich habe Bruno verlassen." Melanie lachte dabei, als wollte sie Claire einen Lottogewinn verkünden. "Ich habe einfach meine Sachen geschnappt, hab mich in den nächsten Zug gesetzt und bin los. Zu Bruno kriegen mich keine zehn Pferde mehr zurück."
Claire beugte sich vor. Der Kaffee stand schon seit Stunden in der Kanne und würde wohl dementsprechend schmecken. Also erhob sie sich stöhnend und ging in die Küche, um frischen aufzubrühen.
Melanie folgte ihr.
"Was ist denn los mit dir?" erkundigte sie sich, als sie sah wie Claire mit schleppenden Bewegungen Wasser in den Tank der Maschine füllte.
Claire seufzte.
"Ich sag's jetzt zum dritten Mal. Ich bin gerade erst zurückgekommen. Mir fehlen einfach ein paar Stunden. Mein Körper glaubt, es sei jetzt Zeit zum Schlafen."
"Ach du Mist!" Melanie schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. "Daran habe ich ja gar nicht mehr gedacht. Mensch, da hab' ich ja Glück gehabt, daß ich nicht vor verschlossenen Türen stand. Ich hab's echt vergessen. Vielen Dank für die tolle Karte, übrigens. Wie hat's dir denn gefallen?"
Claire häufte das Kaffeepulver in die Kanne.
"Es war super." Noch ein Löffelchen für die Maschine - fertig. Claire schloß die Dose und wandte sich entschlossen Melanie zu, die ihr ohne großes Interesse zusah. "Aber das erzähle ich dir alles später. Jetzt möchte ich erst einmal wissen, was zwischen dir und Bruno gelaufen ist. Man läuft doch nicht einfach so mir-nichts-dir-nichts davon."
Melanie warf in einer ihrer typischen Gesten den Kopf in den Nacken. In diesem Moment erinnerte sie Claire wieder stark an den aufmüpfigen Teenager, der sich mit den Lehrern um irgendwelche vermeintlichen Ungerechtigkeiten zankte. Melanie war ein schwieriges Kind gewesen und hatte auch heute noch ihre nicht leicht verdaulichen Unebenheiten.
"Von wegen gelaufen!" Ihre Stimme zitterte vor unterdrücktem Groll. "Wenn wenigstens was gelaufen wäre! Aber Bruno ist derartig langweilig. Ehrlich, Claire, ich hatte das Gefühl, in allernächster Zeit neben ihm einzuschlafen und nie wieder aufwachen zu können." Sie hakte die Daumen in die Gürteltaschen ihrer Jeans und schob die Unterlippe vor. "Ich habe keine Lust, Tag für Tag das brave Hausmütterchen zu spielen, das nichts anderes zu tun hat, als ihrem Männchen das Essen zu kochen und auf ihn zu warten."
Claire betrachtete die Freundin nachdenklich. Melanie hatte sich kaum verändert. Sie hatte noch immer dieses wunderschöne lange, blonde Haar, das sie momentan jedoch mit bunten Strähnchen verziert zu einem mobähnlichen Wuschel frisiert trug. Ein neonfarbenes Tuch zierte die ganze Komposition und schrie empört gegen das Rosa Top an, das jeden Moment von Mels üppigem Busen gesprengt zu werden drohte.
Die Jeans saß so eng, daß sich Claire fragte, wie sich Mel überhaupt darin hinsetzen konnte und der Anblick der extrahohen Plateauschuhe hätte wahrscheinlich jeden Orthopäden sofort zum Gipsanrühren veranlaßt.
"War das nicht genau das, was du dir gewünscht hast?" erkundigte Claire sich, während sie Tassen aus dem Küchenschrank holte. "Ich erinnere mich ganz genau, was du uns allen vor der Hochzeit vorgeschwärmt hast: Ich will einzig und alleine für meinen Schnucki da sein und ihn so richtig rundherum verwöhnen. Lacht mich nur aus, aber auf Karriere kann ich gut verzichten. Mir reicht es, wenn mein Schnuckimucki mit Appetit sein Abendessen verzehrt."
Melanie war während Claires Rede bei jedem Wort schmerzhaft zusammengezuckt. Aber sie war nicht der Typ, der sich so schnell geschlagen gab.
"Ach, ihr habt mich aber damals auch zu sehr gereizt mit eurem Ich-bin-mit Leib-und-Seele-Single-Gerede", verteidigte sie sich hoheitsvoll. "Außerdem hatte ich nicht angenommen, daß Bruno meine Worte derartig ernst nimmt. Er tut zu Hause nicht einen Handschlag. Ich bin inzwischen eher seine Mutter als seine Frau."
"Liebling, was hast du erwartet?" konnte Claire nicht umhin, das Messer noch ein bißchen in der Wunde herumzudrehen. "Wenn du deinen Beruf aufgibst, um den ganzen Tag zu Hause zu bleiben und deinem Schatz jeden Wunsch von
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