Jetlag
den Augen abliest, dann entwickelt er sich ruck-zuck in das unselbständige Baby zurück, das er im Grunde seines Wesens sowieso noch ist. Aber was anderes: Wieso hast du ihm nicht gesagt, daß dir das Hausfrauendasein stinkt und du dich wieder nach einer Aufgabe sehnst? Einfach weglaufen ist doch nun wirklich keine Lösung."
Der Kaffee war durch die Maschine gelaufen. Claire füllte ihn in die Thermoskanne um und trug sie zusammen mit dem Geschirr ins Wohnzimmer.
"Ich hab' ja versucht, mit Bruno zu reden", behauptete Melanie, nachdem sie sich einen dampfenden Becher herangezogen hatte. Vorsichtig blies sie darüber, um dann in kleinen Schlucken zu trinken. "Ehrlich, Claire, ich hab's wirklich versucht. Aber Bruno ist so schrecklich langweilig. Den ganzen Tag hocke ich alleine zu Hause herum, und wenn er dann endlich kommt, kriegt er kaum die Zähne auseinander. Ständig heißt es, ich bin müde, ich mußte heute wieder so viel arbeiten, laß uns ein anderes Mal darüber sprechen. Und wenn ich mal ausgehen, mich ein bißchen amüsieren will, dann kriege ich zu hören, daß wir sparen müssen. Die Möbel und das Auto müssen noch abbezahlt werden. Wie sollen wir das denn alles mit nur einem Verdienst schaffen. Selbst im Bett spielt sich nichts mehr ab, weil Bruno immer gleich einschläft."
"Ach, Melli." Claire griff über den Tisch hinweg nach Melanies Hand. Sie konnte sich gut die Szenen vorstellen, die sich zwischen dem jungen Ehepaar abgespielt hatten, und obwohl Mel und sie seit ihrer Schulzeit wirklich eng befreundet waren, mußte Claire in diesem Fall dem armen Bruno recht geben. Melanie war ein großes Kind, das immer seinen Willen durchsetzen wollte. Um sie zu bändigen, brauchte es eine riesige Portion Geduld.
"Du mußt langsam erwachsen werden", versuchte sie, Mels Weltbild ein wenig zurechtzurücken. "Guck mal, es ist doch durchaus möglich, daß Bruno sehr viel zu tun hat und sich Sorgen um eure Finanzen macht. Wäre es nicht besser..."
Melanie riß sich los und sprang auf.
"Willst du mich loswerden?" Plötzlich glitzerten Tränen in ihren Augen. "Ich störe dich, nicht wahr? Du kommst gerade von einer langen Reise zurück und willst deine Ruhe haben und ich quassele dir die Ohren mit kleinen nichtigen Sorgen voll. Oh, verdammt, und ich dachte, du würdest mir helfen!"
"Bitte Mel!" Claire hatte sich ebenfalls erhoben. "Hör auf damit, ja? Ich bin momentan wirklich nicht in der Stimmung für eine Szene. Natürlich kannst du bei mir wohnen, aber ich möchte, daß du deine Situation noch einmal gründlich überdenkst. Laß dir Zeit, aber denke nach, bitte. Eine Beziehung schmeißt man nicht so einfach über Bord, bloß weil es mal nicht so klappt."
Einen Moment sah es so aus, als wollte Melanie tatsächlich zu einer tränenreichen Aufführung loslegen, aber dann besann sie sich und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen.
"Okay, ich verstehe schon." Sie begann in ihrem Kaffee herumzurühren. "Klar, daß du nach dem langen Flug müde bist. Außerdem macht dir die Zeitumstellung sicherlich zu schaffen. Da wirst du noch eine ganze Weile mit zu tun haben, fürchte ich. Keine Sorge, ich höre auf, dich zu stressen. Kann ich also für ein paar Tage bleiben?"
"Klar, kannst du das." Claire schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. "Aber du solltest Bruno anrufen und ihm sagen, daß du gut hier angekommen bist. Er macht sich sicherlich schon Sorgen um dich."
"Nein!" Melanie hieb zur Bekräftigung ihrer Ablehnung so fest mit der Faust auf den Tisch, daß die Löffel auf den Untertassen tanzten. "Das kommt überhaupt nicht in Frage. Soll er sich ruhig Gedanken machen. Das ist mir ganz egal. Bruno ist mir überhaupt vollkommen schnuppe. Von mir aus kann er, kann er...kann er..." Sie brach ab, als ihr partout nicht einfallen wollte, was Bruno Schlimmes zustoßen konnte. "Na ja, eben zur Hölle fahren", murmelte sie schließlich und stürzte den Rest ihres Kaffees in einem Zug hinunter.
Claire beschloß, das Thema vorläufig nicht weiter zu verfolgen. Melanie war so wechselhaft wie das Aprilwetter. In einer Stunde konnte sie über die ganze Geschichte schon ganz anders denken.
Kapitel 5
"Jetzt sollst du aber mal erzählen", wandte Mel sich in verändertem Tonfall an Claire, als diese schweigend in ihre Tasse starrte. "Ich plappere die ganze Zeit über mich und meine Probleme, dabei hast du sicherlich auch eine ganze Menge zu berichten. Immerhin warst du ein Vierteljahr drüben, da hast du doch sicherlich einiges
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