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Jetzt Plus Minus

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Titel: Jetzt Plus Minus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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glücklicheren Zeit. Wir wollen euch kennenlernen. Was könnt ihr uns über eure Lyrik, eure bevorzugten Stellungen beim Geschlechtsverkehr, die Straßenpläne eurer wichtigsten Städte, euren Zusammenbruch und gesellschaftlichen Zerfall, eure schrecklichen letzten Tage sagen? Denn eure letzten Tage werden schrecklich sein. Das läßt sich nicht mehr vermeiden. Der Weg ist festgelegt, das Ende unausweichlich. Die Zeit des Dynasten muß kommen.
    Ich sehe mich in die Totalität der Epochen eingebunden. Ich bin unentrinnbar verknüpft mit den Pharaonen, mit Assurnasipral, mit Tiglath-Pileser, mit den Bettlern in Kalkutta, mit Juri Gagarin und Neil Armstrong, mit Cäsar, mit Adam, mit den zwergenhaften und bleichen Schürfern an den tristen Ufern der hungernden Zukunft. Die ganze Zeit läuft auf diesen Punkt zu. Der Kern meiner Seele ist der Brennpunkt des Universums. Es gibt kein Entkommen. Der gedunsene rote Mond zieht ewig am Himmel auf. Der Augenblick des Dynasten findet immerwährend statt. Zeit und Raum werden zum Käfig für das Jetzt. Wir sind zu unserer eigenen Gesellschaft verdammt, bis daß der Tod uns scheide, und vielleicht auch noch danach. Wo sind wir vom Weg abgekommen? Wie haben wir ihn verloren? Warum können wir nicht entkommen? Ah. Ja. Da ist der Haken. Es gibt kein Entkommen.
    Sie tranken Wein und priesen die Götter des Goldes und des Silbers, des Messings und Eisens, des Holzes und Steins.
    In derselben Stunde erschienen Finger einer Menschenhand und schrieben über dem Kerzenhalter an die Wand vom Palast des Königs, und der König sah die Hand, die schrieb.
    Dann veränderte sich das Antlitz des Königs, und seine Gedanken beunruhigten ihn, so daß die Gelenke seiner Finger sich lockerten und seine Knie aneinander schlugen.
    Und das stand geschrieben: MENE, MENE, TEKEL, UPHARSIN.
    Das ist die Auslegung: MENE – Gott hat dein Reich gezählt und es beendet.
    TEKEL – Du bist gewogen und zu leicht befunden.
    PERES – Dein Reich ist geteilt und den Medern und Persern gegeben.
    In dieser Nacht wurde Belsazar, König der Chaldäer, erschlagen.
    Und Darius, der Meder, nahm das Reich, ungefähr zweiundsechzig Jahre alt.
    Wir erwachen. Wir sprechen nicht miteinander, als wir den Raum der Träume verlassen; wir wenden unsere Blicke voneinander ab. Wir kehren in unsere Büros zurück. Ich verbringe den Rest des Nachmittags damit, Scherben prä-dynastischer Lyrik zu analysieren. Die Wörter sind wirr und wollen sich nicht zusammenfügen. Meine Augen füllen sich mit Tränen. Warum habe ich mich so mit dem Schicksal dieser traurigen und dummen Menschen eingelassen?
    Ich will die Maske abnehmen. Ich will alles gestehen. Es gibt kein Zentrum für prä-dynastische Studien. Ich bin kein metalinguistischer Archäologe, Stufe 3, der in einer fernen und idyllischen Ära fern in eurer Zukunft lebt und seine Tage damit verbringt, die Überreste des zwanzigsten Jahrhunderts zu betrachten. Die Zeit des Dynasten mag kommen, aber noch herrscht er nicht. Ich bin euer Zeitgenosse. Ich bin euer Bruder. Diese Aufzeichnungen sind das Werk eines prädynastischen Menschen, eines Eingeborenen des sogenannten 20. Jahrhunderts, der, wie ihr, dunkle Stunden durchlebt hat und vielleicht vor noch dunkleren steht. Soviel ist wahr. Alles andere entstammt meiner eigenen Erfindung. Glaubt ihr das? Erscheine ich jetzt zuverlässig? Könnt ihr mir trauen, nur dieses eine Mal?
    Die ganze Zeit läuft auf diesen Punkt zu.
    Der Schnee fällt.
Der kalte Wind kommt.
Jetzt… Leid… Einsamkeit… Blut… Schlaf… Blut…
………………Blut…………

In der Gruppe
    Für Murray war es eine ruhelose Zeit. Er verbrachte den Morgen mit Sandfischen am Strand von Acapulco. Als es Mittag zu werden schien, versetzte er sich nach Nairobi, um im ›Three Bells‹ Hammelcurry zu essen. In Nairobi war es nicht Mittag, aber in jenen Zeiten hatte jedes Restaurant, in dem zu essen sich lohnte, rund um die Uhr geöffnet. Am späten Nachmittag machte er, subjektiv gesehen, Pause in Marseille für Pastis mit Wasser, und um die psychologische Dämmerung herum kehrte er zurück nach Kalifornien. Seine innere Uhr war auf pazifische Zeit eingestellt, so daß die Wirklichkeit mit der Stimmung übereinstimmte: Es wurde Nacht. San Francisco glitzerte wie ein Juwelenhaufen an der Bucht. Er hatte heute abend Gruppe. Er brachte Kay auf den Bildschirm und sagte: »Komm heute zu mir, ja?«
    »Wozu?«
    »Was wohl? Gruppe.«
    Sie lag in einer betauten Laube junger

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