Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau
was er will, der ist wie Gott, da kann man auch nur hoffen und beten. Und meistens ist das Beten vergebens, beim Friseur wie in der Religion. Nach fünfzehn Minuten sah ich aus wie eine Kreuzung aus Roadrunner und Johnny Rotten. Alle meine Haare lagen auf dem Boden. »Mach das wieder dran«, brüllte ich und hielt eine Handvoll »Spitzen« hoch. »Och«, sagt er, »sin’ Sie nisch zufrieden? Wenn Sie Ihr Haar länger tragen wollen, muss isch Ihnen Extensions anschweißen.« Drei Stunden später trug ich eine Art Teppichfasern auf dem Kopf. Laut Rechnung ein echter Perser. Mein Spiegelbild erinnerte mich schwer an Tingeltangel Bob von den Simpsons. Hab Johnny Depp stehenlassen und meine leere Coladose mitgenommen. Sollte er selber sehen, wo er seinen Abfall herkriegt.
Tingeltangel-Bob wollte ich nicht bleiben. Drei Häuser weiter lockte »Kopfsalat«. Von meinen Exkursionen in die vor Zeitgeist triefenden Haarschneider-Stuben war ich nun schon abgehärtet, was Interieur, Mobiliar und Dekoration betraf, aber »Kopfsalat« setzte den Trendsettern eindeutig die Krone auf. Es gab weder Stühle, noch Spiegel und nur ein schäbiges dreckiges Waschbecken. Oh Gott, wo ist mein ›Friseursalon Margot Schmidt‹ geblieben? Schon trat der »Kopfsalat«-Meister aus dem Hinterzimmer, wischte sich die Hände an der langen Schürze ab und sagte: »Gut-ten Takk.« Ich sag: »Hallo Meister, bitte mal hersehen: Tingeltangel-Bob ab, Rest dunkel färben, keine Diskussion, kein Trend, keine Videos. Okay?« Er: »Willsu Haare schneiden?« Diese Friseure. »Ja«, sagte ich. »Womit Haare schneiden?« Ich sagte: »Ist mir egal, meinetwegen mit einer Geburtszange.« »Sange?« Ich sag: »Hörens, Meister. Ab. Dunkel. Kein Stinktier, kein Abfall, keine Chihuahuas.« »Mmh. Gut. Heckenschere geht?« »Willst du mich verarschen?« »Is gut.« Was soll ich sagen. Wer hätte ahnen können, dass »Kopfsalat« eine türkische Gemüsebude ist. Ahmed hat mir den Tingeltangel-Bob mit einem Gemüsemesser abgeschält, mir einen Kartoffelsack umgehängt und die restlichen Haare mit Sprühlack eingefärbt. Sieht eigentlich ganz gut aus. Jedenfalls auch nicht schlimmer als sonst, wenn ich vom Friseur komm. Ahmed und ich sind gute Freunde geworden, die Rechnung war niedriger als sonst und ich hab eine Gurke gekriegt. Passend zu meiner neuen Kopfsalat-Frisur hab ich »Punx not dead« auf den Kartoffelsack gesprüht und ihn angelassen. Die ersten Idioten haben mir den Trend schon nachgemacht. Das riecht nach einem lukrativen Geschäftsmodell.
Vier Wochen später
Habe Ahmed überredet, im Hinterzimmer seiner Gemüsebude eine Friseurstube aufzumachen: ›Gurkenschneider.de‹. Unsere Zwiebelfrisuren sind der Hit! Margot Schmidt arbeitet jetzt auch bei uns. Sie verpasst immer noch jedem ihre Stahlhelm-Dauerwell e – jetzt aber in Gurken-Grün oder Tomaten-Rot, voll hip. Die Stadtmagazine feiern Margot schon als ›große alte Dame der Friseurkunst‹, diese Opportunisten. Mit dem Bio-Supermarkt gegenüber haben wir ein gegenseitiges Rabattmodell entwickelt, unsere wöchentliche Dokusoap »Trends aus der Gurkenstube« hat Hammereinschaltquoten, unsere Kartoffelsack-Umhänge werden von Versace lizensiert und nächstes Jahr gehen Ahmed, Margot Schmidt und ich an die Börse. Haargenau!
Dortmund, nachts, Frau Knecht fährt, Regen
Fühle mich wie ein junger Hüpfer. Wahrscheinlich, weil wir soeben den Turnvater-Jahn-Verein bespaßt haben, den es seit 1816 gibt! Wahnsinn! Fast 20 0 Jahr e – und dann gleich pro Person: Die Vereinsmitglieder sahen alle aus, als hätten sie den Verein mitgegründet. Während Turnvater Jahn und seine Freunde beim Dinner saßen, fragten Frau Knecht und ich uns besorgt, ob wir die Gala nicht besser über Kasse abgerechnet hätten. Hoffentlich würde der Schatzmeister den Abend überleben. Beim Grübeln haben wir ziemlich gefroren, denn der unfreundliche Schankwirt und seine griesgrämige Frau hatten uns als Garderobe den zweiten ungeheizten Schankraum aufgeschlossen, der leider zudem auf allen vier Seiten Fenster hatte. Sogar zum Restaurant hin, wo Turnvater Jahn und seine Freunde vor sich hin mümmelten. Frau Knecht und ich knipsten das Licht aus und zogen uns in einer Ecke im eisigen Dunkeln um. Immer noch besser als der Toiletten-Vorraum, den der Schankwirt uns zuerst angedient hatte. Da war kaum Platz für einen Stuhl und alle Naselang rannte ein blasenschwaches Gründungsmitglied von 1816 da durch. Hab den Gastwirt gefragt, ob
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