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Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau

Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau

Titel: Jetzt tanzen alle Puppen - Aus dem Alltag einer Comedy-Fachfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Volk
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»Hautnah— t – Ihr Modestübchen«. Wie gruselig. Was verkaufen di e – Haute Couture von Hannibal Lector? Sehe Friseurschild: »Hair-Reinspaziert«. Unfassbar. Hab letztens für den WDR einen Bericht angefertigt über bizarre Haar-Praktiken wie ›Hairweaving‹ sowie Haar-Implantate und Haar-Transplantate. Im Keller eines etablierten Friseurbetriebs traf ich auf einen rumänischen Arzt in Operationskluft, kaum des Deutschen mächtig. Der Rumäne wurde nicht gegen seinen Willen festgehalten, sondern führte freiwillig Operationen durch: Fröhlich schnitt er behaarte Hautlappen aus der männlichen Nackenpartie, um sie behände auf den kahlen Kopf zu verpflanzen, oder schoss Kunsthaare in die Kopfhaut. Das sah sehr eindrucksvoll aus, ein bisschen wie Häkeln.

29 Der Friseurbesuch
    Der fundamentale Unterschied zwischen Mann und Frau erklärt sich von selbst im Schaufenster eines Friseurgeschäfts. Angebot für Damen:
    Waschen, Schneiden, Fönen, selber Fönen, Trockenhaube, luftgetrocknet oder Rotlicht, Färben, Tönen, Foliensträhnen, Kammsträhnen, Einlegen oder Dauerwelle, Wimpern-Dauerwelle, Augenbrauenzupfen, Sechs-Wochen-Volumenkur, Extensions und/oder Haarschmuck.
    Männer: Waschen, Schneiden, Nasenhaare.
    »Wie viel einfacher es doch Männer haben«, dachte ich und stierte verzweifelt in das Innere von »Haarscharf«. Heutzutage heißen Friseurgeschäfte »Haarscharf« oder »Schnittpunkt«. Manche Friseure mischen mit Englisch, dann heißt der Laden »Hairlich« oder »Hair-Reinspaziert«. Wo ist mein ›Friseursalon Margot Schmidt‹ geblieben? Bei Margot Schmidt gab’s zwei Varianten: »Darf’s ein bisschen frecher sein? « – hieß rasenmäherkurz. Oder »lieber schön klassisch?« Das war die Stahlhelm-Dauerwelle. Entweder sah ich aus wie Sinead O’Connor oder wie die Sturmtruppen. Und heute? Will mir die Friseurbrut Haareschneiden als Akt der Selbstverwirklichung unterjubeln. Finster starrte ich ins Innere von »Schnittpunkt«.
    Alle, die bei »Schnittpunkt« rauskamen, sahen aus wie unter die Mathelehrer gefallen. Mindestens drei Jungproleten hatten sich binomische Formeln in Augenbrauen, Nacken und Seitenpartien rasieren lassen. Ich wollte nicht Mathe lernen, sondern meinen blonden Ansatz loswerden. »Friedhofsblond«, sagt Frau Knecht, die selber ungefärbt aussieht wie Indira Gandhi. Ich kaufte eine Cola, um cooler zu wirken, und betrat ›Haaresbreite‹. Slogan: ›One world, one gender, one haircut‹. Alles drei gelogen. Bei ›Haaresbreite‹ flackerten Videos von Friseurmodenshows auf coolen Flachbildmonitoren. Hinten im Laden werkelte eine ältere Friseurin am Waschbecken. »Guck«, dachte ich, »Margot Schmidt ist auch da.« Hinter Margot Schmidt materialisierte sich eine Trashfigur, eine Art Johny Depp in »Fluch des Friseurs«. Lange Rastahaare, in die er allen möglichen Abfall geflochten hatte, der bei jedem Schritt vorwurfsvoll bimmelte. Diese Haarschmuck-Bimmler erinnern mich immer an Leprakranke im Mittelalter. Die bimmelten auch bei jedem Schritt, damit die Leute Abstand hielten. Die modernen Laufbimmler dagegen tragen Glöckchen, damit sie anziehender wirken. Kranke Welt.
    Hab dem Friseur als Zeichen meiner Toleranz meine leere Coladose angeboten und gesagt: »Da, an Ihrer Schläfe ist noch Plat z – soll ich die Dose reinbammeln?« Der Depp hat nur die Augen verdreht und mich gefragt: »Was wollen Sie hier?« Die Frage liebe ich. Was soll man schon wollen beim Friseu r – schönes Glas Buttermilch, vielleicht? Ich erklärte Johnny mein Anliegen, er griff mir in die Haare, schüttelte den Kopf und bimmelte leise und vorwurfsvoll: »Da muss eine Fliesche rein.« Ich sagte: »Eine Fliege auch noch? Da behalt ich lieber die Coladose.« Depp verdrehte die Augen. »Ach eine Pflege «, sag ich, »sagen Sie das doch. Ach so, können Sie ja nicht.«
    Nach Waschen und Fliege ging’s ans Eingemachte. Er wirbelte mit den Scheren und stellte die Klassikerfrage: »Darf’s ein bisschen frecher sein?« »Nein!«, sagte ich, »auf keinen Fall. Auch nicht die aktuelle Trendfrisur, Scheitelpunkt am Hinterkopf und alle Haare nach vorne ins Gesicht. Als hätte einem jemand einen Chihuahua auf dem Kopf platt gehauen. Nur Spitzen schneiden.« Ich Blödmann. Als hätte ein Friseur jemals zugehört, wenn eine Frau sagt: »Nur Spitzen schneiden«. Genauso gut hätte ich sagen können: »In Neuseeland regnet es« oder »Der Chinamann hat heute Mittagstisch für fünf Euro«. Ein Friseur macht,

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