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Jim

Jim

Titel: Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lang
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beflügelte ihn der Erfolg. Das «normale» Gefühl hatte sich zusehends stabilisiert. Für kurze Momente vergaß er schon, dass seine Hand sich jahrelang elefantös angefühlt hatte. Wie tief das Bewusstsein für sein Handicap dennoch verwurzelt war, merkte er vor allem an der großen Vorsicht, die er bei praktisch jeder Bewegung übte. Opitz gab dem Gefühl, das ihn so lang im Griff gehalten hatte, endlich einen Namen: Angst. Davon wollte er sich nicht länger beherrschen lassen.
    Behutsam bewegte er sich vorwärts. Die Nacht war dunkel, der Mond dünn wie einst die Sichel auf der sowjetischen Fahne. Anna duldete keinerlei Leuchten im Garten. Für sie bedeutete künstliches Licht im Außenbereich einen Eingriff ins Wesen der Nacht. Auf der Landstraße hörte er einen Sportwagen fahren,weit oben am Himmel pfiff ein Flugzeug dahin. Auch das waren Eingriffe in die Natur der Nacht, aber daran war so leicht nichts zu ändern. Einmal hörte er einen Ast brechen.
    Er fühlte sich wie bei einer Dschungeldurchquerung auf Nehberg-Art: ohne Träger, ohne Vorrat, ohne Waffen. Das Gartenbett wurde zum sagenhaften Tempel irgendwo unter dem wuchernden Grün. In diesem Teil des Gartens standen die Bäume dicht; er schlängelte sich zwischen den Stämmen hindurch und bückte sich übertrieben tief, um keine Äste ins Gesicht zu kriegen. Bei aller Hochstimmung konnte er die Furcht vor dem Orang-Utan nicht ganz unterdrücken. Er dachte an die Kraft des Affenmanns. Wenn Jim ihn angreifen sollte, konnten ihm auch zwei gesunde Arme kaum helfen. Er sah und hörte indes nichts von ihm. Die Gefahr, ihm selbst zu begegnen, war objektiv viel geringer als die, in seine Scheiße zu treten. Alle Versuche, ihn an ein Affenklo zu gewöhnen, waren nämlich gescheitert, und es war nicht immer leicht, seine Exkremente im Garten zu finden und zu beseitigen. Als er einen Moment ausruhte, fiel ihm die Terrassentür ein. Er wusste nicht mehr sicher, ob sie verriegelt war. Im Haus hatte Jim nichts verloren, das sah selbst Anna so. Den ganzen Weg noch mal zurückzugehen, um sich zu vergewissern, kam aber nicht infrage. Er wollte zu Anna. Auf einmal erschrak er heftig. Lange Haare berührten sein Gesicht, und über seinem Kopf nahm er einen schwarzen Schattenwahr. Ein Arm von Jim, dachte er und sah schon vor sich, wie der Affe ihn umschlang und erdrückte. Sein Herz begann zu rasen und beruhigte sich noch lange nicht, nachdem er erkannt hatte, dass dieser Schatten bloß von einem Ast herrührte. Er untersuchte ihn und fand, dass irgendwelche Gräser, die Anna gern trocknen wollte, an dem Baum aufgehängt waren. Ein gutes Stück seines Wegs legte er nun im Laufschritt zurück.
    Opitz spürte immer noch die Sehnsucht nach Annas Körper, wollte gestreichelt und umarmt werden und endlich wieder streicheln und umarmen – mit beiden Armen und ohne sie gleichzeitig von sich zu schieben, weil jeden Moment der Schmerz hochschießen könnte. Das Ungestüm, mit dem sein Inneres plötzlich zur Gesundheit drängte, war ihm fremd. Nach wie vor fühlte er sich auch verletzt. Als er sich entschlossen hatte, den Garten zu betreten, war der Wunsch nach Rechenschaft, die Anna ihm ablegen sollte, noch stark gewesen. Er wollte wissen, ob sie wirklich heute und vielleicht schon vor Jahren in Tarquinia mit Mundt im Bett gewesen war. Er hatte ein Recht, es zu erfahren. Eine innere Stimme sagte ihm indes, dass er es wusste. Anna und Heimlichkeiten passten aus seiner Sicht schlecht zusammen. Wenn zwischen ihr und Mundt etwas gewesen wäre, hätte sie es ihm gesagt. Wenn sie den anderen liebte, würde sie doch mit dem leben und Opitz verlassen. Oder es stimmte, was Mundt behauptet hatte, und er war einfach der nützliche Idiot,der ihre Blumen goss, wenn sie verreiste, und für sie kochte. Im Grunde kannte er seine Frau überhaupt nicht. Schon einmal hatte sie ihn verstört. Damals war er frühmorgens in den Garten gegangen und hatte zufällig beobachtet, wie sie mit gerafftem Kleid auf dem Gras stand, die Beine leicht gespreizt und im Plié. Er hatte von hinten den Ausläufer ihres damals noch ungetrimmten Buschs gesehen und ihren satten Urinstrahl. Dieses Bild war ihm lange Zeit vor Augen getreten, egal, wo sie aufgetaucht war.
    Das Gartenbett stand etwa da, wo er es vermutet hatte. Er sah durch die Zweige ein Licht schimmern. Anna hatte eine Gaslampe in den Betthimmel gehängt. Der Baldachin leuchtete im Widerschein ihres gelblichen Lichts und veränderte fraglos das Wesen der

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