Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
holt
aus Joachims Mischpult Marke Eigenbau das Maximale heraus: «Mit Rucksack und
Harpune» ist ein vielschichtiges Klangmonument, dass trotz seiner kantigen
Strukturen bei jedem Song schon allein durch den bis dato bei deutschen
Künstlern nie gehörten Breitwandsound besticht. Joachim hofft, dass der Zuhörer
den Quantensprung bemerkt. Doch weder die brillante Produktion noch der
hinterlistige Zynismus der Texte können dem Album weiterhelfen - Medien und
Publikum zeigen nicht das geringste Interesse.
Hatte «Märchenblau» wenigstens noch einige tausend Fans der
ersten Stunde zum Erwerb des blauen Vinyls bewegt, fallen die Verkaufszahlen
des Nachfolgers hinter die pessimistischsten Erwartungen. Anders gesagt: «Mit
Rucksack und Harpune» findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Joachim Witt war, gewollt oder ungewollt, der goldene Reiter der Neuen
Deutschen Welle - doch jetzt fällt er ab.
Die finanziellen Probleme nehmen ungeahnte Formen an. Witt muss horrende
Steuernachzahlungen begleichen, doch das Geld dafür fehlt. Ihm bleibt nichts
weiter übrig, als sein einzigartiges Mischpult und einige weitere exklusive
Studiogerätschaften zu verkaufen. Eigentlich hatte er das Equipment auch als
Investition gesehen, die ihm - etwa durch Vermietung an andere Künstler -
finanzielle Durststrecken erleichtern soll. Daraus wird nichts - er muss
verkaufen. Das Pult und die anderen Stücke gehen an René Tinner und Holger
Czukay von Can. Die beiden werden sich später eine goldene Nase damit
verdienen: Sie produzieren mit Joachims Technik etliche Hits, darunter für
Marius Müller-Westernhagen und Jule Neigel. Witt ist das 1985 egal - er
begleicht seine Schuld beim Fiskus und zieht mit Ehefrau Petra und seinen
inzwischen zwei Kindern - Fabian und Kimberly - nach Portugal.
Für den Unterhalt des Hauses in der Algarve kommt der «Goldene Reiter» auf. Das
deutsche Urheberrecht sorgt dafür, dass Witt weiter Musik machen kann: Der
«Reiter» ist im Gegensatz zu den meisten anderen Vorzeigesongs der NDW nicht
totzukriegen und entwickelt sich noch in den Achtzigern zum Radioklassiker. Der
Name des Künstlers dagegen verblasst, jede neue Platte wird in Erinnerung an
die Neue Deutsche Welle sorgsam in den Giftschrank gestellt. Spätestens jetzt
ist die NDW für Witt ein Fluch, der ihn als Künstler ins Abseits stellt. In der
Sonne der Algarve überlegt sich Witt, wie er diesen Bann brechen könnte - und
das möglichst zügig.
Joachim Witts Wandlung könnte radikaler nicht sein. Er setzt auf
englischsprachigen Synthiepop, wird bei der portugiesischen Dependance von
Warner vorstellig, will europaweit ein Album herausbringen. Auf dem deutschen
Markt fühlt er sich nicht mehr zuhause, die Ignoranz der Medien - bedingt durch
das gebrochene Gütesiegel NDW - geht ihm an die Nieren. Zusammen mit Peter
Sawatzki-Bär von der Band Boytronic schraubt Joachim Witt noch 1985 ein
ambitioniertes, aber unterm Strich unausgereiftes Elektroalbum zusammen, das
bis auf die erste Single «How Will I Know» und «Burmese Days» keine
Kompositionen enthält, die es mit den ersten vier Alben aufnehmen könnten. Was
dem Vorgänger «Mit Rucksack und Harpune» an zugänglichem Songmaterial gefehlt
hatte, war durch Witts verwegene Arrangements und die High-End-Produktion mehr
als wettgemacht worden - «Moonlight Nights» dagegen gerät zum Rohrkrepierer.
Die LP dokumentiert den misslungenen Versuch, angesagten Instrumentalszenarien
den wittschen Stempel aufzudrücken. Auch stammen die sonst so unverzichtbar
eigenwilligen Texte zum ersten Mal nicht aus Joachims Feder, sondern werden von
Jay Hawker alias Jürgen Tegge beigesteuert. Treu geblieben ist sich Witt aber
dennoch: Er scheut noch immer keine Veränderung.
Veröffentlicht wird «Moonlight Nights» dann doch wieder in Deutschland -
diesmal beim Label Polydor. Warner Portugal sieht sich nicht in der Lage,
Joachim Witt in ganz Europa zu verkaufen, dafür ist der Name außerhalb der Heimat
dann doch zu unbekannt. Außerdem fällt der Vorschuss der deutschen
Traditionsfirma sehr viel höher aus als das Angebot aus Lissabon; ein für Witt
nicht ganz unwesentlicher Grund, sich noch einmal auf den deutschen Markt
einzulassen. Und die Erwartungen bei Polydor sind hoch: Das Album erscheint
sogar als Compact Disc, dem brandneuen Tonträger, der Mitte der Achtziger nur
den Größten der Großen vorbehalten ist. Aber egal, ob analog oder digital:
«Moonlight Nights» bleibt in den Regalen stehen,
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