Joachim Witt - DOM - Eine Biographie (German Edition)
seid wohl ganz versessen, ich bin euer
Herbergsvater und sage hey-hey!» - Mit so wenig Worten gelingt es Joachim Witt
auf der dritten Solosingle, seine tiefe Verachtung aller Versuche von
Bevormundung, Einengung und Reglementierung zusammenzufassen. Er hat für
selbsternannte Autoritäten nur eine Antwort: «Tri-Tra-Trullala!». Anders
gesagt, er setzt dem erhobenen Zeigefinger einen Stinkefinger entgegen. Auf dem
Album geht Witt sogar noch einen Schritt weiter und sagt: «Ich bin der deutsche
Neger». Für ihn als linken Humanisten ist es das schlimmste Schimpfwort, dass
er dem deutschen Kleinbürgertum in den Mund legen kann; er sieht sich zum
Zeitpunkt des Entstehens der zweiten Platte als von der Gesellschaft
verachtetes Subjekt, das abgelehnt wird, weil es sich nicht den spießigen
Strukturen anpassen will. Es ist nicht das letzte Mal, dass der eine oder
andere Hörer bei Joachim Witts Texten die Augenbrauen hochzieht.
Die Aufnahmen zum Album «Edelweiß» hatte Joachim schon im
Oktober 1981 abgeschlossen, in dem festen Glauben, «Silberblick» sei leider ein
Schuss in den Ofen gewesen. Er ist sich nicht ganz sicher, ob die Ausgestaltung
des Folgealbums anders ausgefallen wäre, wenn sich der Erfolg des Erstlings früher
eingestellt hätte. Dem widerspricht allerdings sein ständiger Wille nach
kreativer Weiterentwicklung - und so bleibt die LP, wie sie ist. Im «Inner
Space»-Studio, wie der Aufnahmeraum von Can eigentlich heißt, hatte Joachim wie
schon bei «Silberblick» die Songs eingespielt, entschließt sich aber, für den
Endmix ins Hochglanzstudio von Connie Plank in Neunkirchen-Seelscheid bei
Köln zu gehen. Dort, im abgelegenen Ortsteil Wolperath, hatte Plank so
wegweisende Erfolgsalben wie Kraftwerks «Autobahn» und «Vienna» von Ultravox
aufgenommen. René Tinner soll in Planks Mischräumen ein Arsenal von
Synthesizern in den Mix von «Edelweiß» einpflegen, denn Joachim ist wie
besessen von pumpenden Elektrobässen und hämmernden Sequenzerlinien, die seinen
Tracks einen Hauch von DAF oder Devo geben sollen. Das Ergebnis ist eine
skurrile und zugleich düstere Mischung aus komödiantisch-überhöhten Texten und
monoton-aggressiven Akkordfolgen - «Edelweiß» wird nicht umsonst eine gewisse
Nähe zu Gothic nachgesagt. Der «Herbergsvater» treibt das Konzept auf die
Spitze und wechselt nicht ein einziges Mal seine Harmonie. Witt hat ein
durchaus gespaltenes Verhältnis zu dem Album, denn es enthält einerseits
einige seiner ewigen Favoriten - vor allem «Strenges Mädchen» - auf der anderen
Seite ist es durch die Einflüsse aus dem Synthiebereich bei weitem nicht mehr
so einzigartig im Sound wie «Silberblick». Joachim merkt, dass er seine
stärksten Titel immer dann abliefert, wenn er sich von Trends fernhält. Das
wird auch später so bleiben.
Zum Fluch wird die NDW nach der Veröffentlichung von «Edelweiß» noch nicht für
Joachim; er kann immerhin knapp 100 000 Exemplare unter die Leute bringen. Nach
der Durchschlagskraft von «Silberblick» merkt Witt aber, dass er es bei seinem
Zweitwerk vielleicht ein klein wenig übertrieben hat in Sachen Avantgarde. Im
Sommer 1982 ist die Neue Deutsche Welle auf ihrem Siedepunkt: UKW, Spliff,
Trio, Falco und Hubert Kah bevölkern die Top Ten. «Tri-Tra-Trullala» erreicht
dagegen lediglich Platz 39. Das Album läuft etwas besser, es kommt auf Position
20. Für Joachim mag das ein kleiner Dämpfer in finanzieller Hinsicht sein,
künstlerisch aber ist er zufrieden. Seinen bipolaren Anspruch an Kunst zwischen
Underground und Kommerz kann «Edelweiß» voll und ganz erfüllen. Witt gelingt
mit dem Album genau jener Spagat, den er nur mit einem Major wie WEA oder einem
anderen großen Medienkonzern im Hintergrund schaffen kann. Hätte er, wie
seinerzeit von Untergrundguru Alfred Hilsberg angeboten, beim Label ZickZack
unterschrieben, wäre ihm der Erfolg wohl verwehrt geblieben. Mit dem Material
seiner ersten beiden LPs geht Witt 1982 auf Tour, und obwohl die Reaktionen des
Publikums nicht immer gleich enthusiastisch sind, geht er voller Zuversicht ans
Werk für Album Nummer drei.
Joachim gefällt sich in der Rolle des NDW-Protagonisten durchaus, auch wenn
nicht mehr jeder Act dieser Strömung innovative Akzente setzt und der große
Sommerschlussverkauf kurz vor der Tür steht. Sogar Joachims Freund Harry
beteiligt sich am NDW-Hype und schreibt für Frl. Menke «Hohe Berge». Dafür
interessiert sich dann sogar die ZDF-Hitparade. Aber Witt ist
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