Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
lag der fertig gepackte Rucksack. Als es Zeit wurde, zu Sara zu gehen, zog er Stiefel und Jacke an und ging los. Es war wieder wärmer geworden. Er merkte, daß es nieselte.
Sara hatte Fleischbällchen gemacht. Joel dachte, es sei wichtig, daß er nicht zuviel aß. Sonst würde er müde werden. Obwohl die Fleischbällchen sehr gut schmeckten, versuchte er, nicht allzu viele zu essen.
»Haben sie nicht geschmeckt?« fragte Sara. Sie sah ganz unglücklich aus.
»Doch«, sagte Joel. »Aber ich hab schon so viele gegessen.«
Hinterher gab es Eis. Da war es schwer, nicht zuviel zu essen.
Sara sah immer noch ganz bekümmert aus.
»Geht's dir nicht gut?« fragte sie.
»Ich bin nur ein bißchen müde«, sagte Joel. »Ich geh nach Hause und leg mich früh schlafen.«
»Und du willst wirklich nicht hier schlafen heute nacht?« fragte Sara.
»Ich schlaf in meinem eigenen Bett am besten«, sagte Joel.
»Du bist ein komischer kleiner Mann«, sagte Sara und schüttelte den Kopf. »Manchmal sollte man meinen, du bist schon erwachsen.«
Um acht war Joel wieder zu Hause. Er holte sich aus Samuels Zimmer eine Decke. Dann rollte er sich auf seinem Bett zusammen und deckte sich mit Samuels Decke zu. Um Mitternacht würde der Wecker klingeln, und der Hocker mit dem Wecker darauf stand so, daß Joel aufstehen mußte, um ihn abzustellen. Er wälzte sich lange im Bett herum, bevor er endlich einschlief.
Als der Wecker klingelte, wurde er mit einem Ruck wach. In seinem Kopf rauschte es vor Schlaf, und er konnte sich nicht erinnern, warum er aufwachte. Dann fiel es ihm ein. Sofort war er hellwach. Um sich für die nächtliche Expedition zu stärken, aß er einige Löffel voll Marmelade in der Vorratskammer. Dann schlich er vorsichtig die Treppe hinunter auf die Straße.
Am Himmel hingen schwere Wolken. Es regnete. Er machte sich auf den Weg zum Telegrafenamt. Plötzlich hörte er Simon Urväders Laster. Er versteckte sich im Schatten eines Baumes, als der Laster vorbeifuhr. Wenn dies alles erst mal vorbei war, würde er Simon wieder besuchen. Wenn er nur seine gute Tat erledigt hatte und vergessen konnte, daß er ein Mirakel erlebt hatte.
Die Fenster im Telegrafenamt waren erleuchtet. Vorsichtig tastete er sich durch den Schatten auf die Rückseite des Hauses zur Tür. Sie war offen. Langsam ging er die Treppe hinauf. Er zählte die Stufen. Auf der neunten Stufe blieb er stehen und schwang sich auf die zwölfte, indem er sich am Geländer abstützte. Er lauschte im Dunkeln vor der Tür. Ein schwacher Lichtstreifen sickerte unter der Ritze an der Schwelle hervor. Er guckte durchs Schlüsselloch. Der Stuhl vor der Telefonvermittlungsanlage war leer. Vorsichtig schob er die Tür auf. Aus dem Hinterzimmer war Schnarchen zu hören. Er schloß die Tür und ließ sich den Rucksack von der Schulter gleiten. Dann ging er auf Zehenspitzen zum Hinterzimmer. Asta Bagge lag auf dem Bett und schlief. Das blaue Kinderjäckchen war auf den Fußboden gefallen. Joel zog die Tür zu. Dann ging er zur Telefonvermittlung. Leitungen und Schalter wurden von einer Schreibtischlampe hell erleuchtet.
Jetzt kam's drauf an. Erinnerte er sich, wie Asta es gemacht hatte? Auf einen roten Schalter drücken, wenn ein Gespräch hereinkam, den Mikrophonschalter herunterdrükken, sich melden und die Leitung in das richtige Loch an der Vermittlungswand stecken. Doch, er erinnerte sich. Aber er wollte keine eingehenden Gespräche entgegennehmen. Er wollte selbst anrufen.
Er wiederholte es im Kopf. Eine Leitung mit der Nummer verbinden, mit der er sprechen wollte, den Schalter herumdrehen, der das Klingeln beim Angerufenen auslöste, den Mikrophonschalter drücken und sprechen, wenn der Teilnehmer seinen Hörer abhob.
Aber es würde noch eine Weile dauern, bevor er sein Gespräch führte. Er hatte viel zu erledigen, ehe er bereit war. Er holte sein Tagebuch und einen Bleistift hervor. Dann zog er das Telefonverzeichnis zu sich heran. Er ging die Namen dem Alphabet nach durch. Hin und wieder schrieb er auf die innere Umschlagseite seines Tagebuchs eine Telefonnummer. Es war die einzige Stelle, wo noch Platz war.
Als er beim Buchstaben F angekommen war, summte es in der Vermittlung. Das hatte er erwartet. Trotzdem fand er, daß er viel zu langsam reagierte. Er schlug das Telefonverzeichnis zu, nahm sein Tagebuch und den Bleistift und versteckte sich hinter einem Schrank, der im Raum stand. Er hatte sich gerade dahinter geduckt, als Asta Bagge aus ihrem Schlafzimmer
Weitere Kostenlose Bücher