Joel 2 - Die Schatten wachsen in der Daemmerung
Krage ausgestellt war.
Neugierig musterte er die große Telefonanlage. Es klingelte wieder, und Asta stellte eine Verbindung her. Er fragte, und sie erklärte ihm, wie es funktionierte. Bald dachte Joel, könnte er selbst Gespräche verbinden. Dann wurde es wieder ruhig, und Asta hängte sich die Kopfhörer um den Hals. »Ist hier auch nachts geöffnet?« fragte Joel.
»Hier ist immer geöffnet«, antwortete Asta. »Nächste Woche habe ich Nachtdienst. Wir sind drei Leute, die sich abwechseln. Im Hinterzimmer gibt es ein Bett, da können wir schlafen. Aber es muß immer jemand hier sein, wenn es klingelt. Jemand kann krank geworden sein. Jemand kriegt vielleicht ein Kind und braucht ein Taxi.« Dann klingelte es wieder. Asta meldete sich und verband weiter. Es kamen drei Gespräche gleichzeitig. Asta verband. Jemand wollte mit Stockholm reden. Asta verband. Und verband.
Joel sah ein Telefonverzeichnis auf dem Tisch liegen. Er blätterte darin. Zufällig schlug er beim Buchstaben L auf. David Lundberg, sah er. Telefonnummer 135. Der Käsemann hatte Telefon!
Joel ließ das Telefonverzeichnis los, als ob er sich verbrannt hätte.
Asta hatte nichts gemerkt. »Ihr Gespräch nach Stockholm«, sagte sie ins Mikrophon.
»Rufen nachts viele an?« fragte Joel, als sie die Kopfhörer wieder abgenommen hatte.
»Nach Mitternacht ruft fast nie jemand an«, antwortete sie und fing wieder an zu stricken. Joel sah, daß es ein Kinderjäckchen werden sollte.
»Ich muß wohl gehen«, sagte Joel.
»Vielen Dank, daß du mir geholfen hast«, sagte Asta. Dann klingelte es wieder.
Joel schob sein Fahrrad nach Hause. Im Keller gab es Gummiflicken und Klebstoff, womit er den Schlauch reparieren konnte. Aber er dachte nicht an das Fahrrad. Der Käsemann hatte Telefon! Der verdammte Hohlkopf, der Gertrud nachspioniert und sich dann gedrückt, sich weggeschlichen hatte wie ein feiger Hund.
Joel hatte beschlossen, daß der Käsemann an allem schuld war.
Plötzlich blieb er stehen.
Er würde sich am Käsemann rächen. Das sollte die gute Tat werden, und dann brauchte er nie mehr an das Mirakel zu denken. Er würde es rächen, daß der Käsemann Gertrud nachspioniert hatte. Das war eine gute Tat, doch würde nie jemand erfahren, daß Joel sie getan hatte. Aber das machte bestimmt nichts. Die Hauptsache war doch, daß die gute Tat überhaupt ausgeführt wurde. Eine gute Tat mußte doch wohl so unsichtbar sein wie Gott. Alle redeten über Gott, aber niemand hatte ihn gesehen. Joel ging weiter.
Er dachte an Asta und ihre Telefonvermittlung. Als er nach Hause kam und das Gartentor öffnete, hatte er sich entschieden. Jetzt wußte er, wie er sich am Käsemann rächen konnte. Dann würde Gertrud begreifen, daß er es mit den geheimen Briefen nur gutgemeint hatte. Alles würde wie immer werden.
Zwei Tage später, am Dienstag, verreiste Papa Samuel. Er wollte auf Elchjagd gehen und würde zwei Tage nicht nach Hause kommen. Joel könnte während dieser Zeit bei Sara wohnen, hatte er vorgeschlagen. Aber Joel wollte nicht. Er kam allein zurecht. Schließlich hatte Samuel nachgegeben, und Joel hatte versprochen, wenigstens zum Essen zu Sara zu gehen.
»Aber was machst du, wenn du Alpträume hast?« hatte Samuel gefragt.
»Dann geh ich auch zu Sara«, antwortete Joel. Samuel sah ihn an. »Du bist tüchtig«, sagte er. »Darüber hab ich noch nie nachgedacht. Du wirst allein fertig wie ein erwachsener Mann.«
Joel merkte, wie stolz er war. Wie ein erwachsener Mann, hatte Samuel gesagt.
Vielleicht wurde man das, wenn man seine eigene Mutter sein mußte?
Dienstagnachmittag kam Samuel eher als sonst aus dem Wald nach Hause. Seinen Rucksack hatte er schon morgens gepackt. Das große Gewehr lag in seiner Hülle auf der Küchenbank. Joel kam es vor, als ob er wie ein kleines Kind am Heiligabend aufgeregt herumschwirrte. War das denn so aufregend, draußen im Wald herumzustehen und darauf zu hoffen, daß ein Elch kam? Jedes Jahr fuhr Samuel zur Elchjagd. Immer kam er nach Hause, ohne einen Elch geschossen zu haben. Er hatte nicht mal einen Elch gesehen. Immer war es ein anderer in der Jagdmannschaft, der schoß. Draußen hupte es.
»Bist du wirklich sicher, daß du allein zurechtkommst?« fragte Samuel.
»Ja«, sagte Joel. »Geh jetzt. Schieß einen Elch!« Unten auf der Straße drehte Samuel sich um und winkte zu Joel am Fenster hinauf. Dann stieg er in das wartende Auto und fuhr davon.
Joel hatte seinen Plan genau durchdacht. Unter seinem Bett
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