Joel 4 - Die Reise ans Ende der Welt
gerichtet«, sagte Samuel.
Sie aßen schweigend. Gekochte Kartoffeln und Blutwurst. Die Preiselbeermarmelade war alle. Die Blutwurst hatte Joel anbrennen lassen.
Nach dem Mittagessen ging Samuel in sein Zimmer. Er stellte das Radio an und legte sich auf sein Bett. Da er die Tür zugemacht hatte, war Joel gezwungen, durchs Schlüsselloch zu gucken. Er sah, dass Samuel sich die einzige Fotografie von Jenny anschaute, die er besaß.
Joel ging in sein Zimmer und legte sich aufs Bett. Wenn Erwachsene über etwas Wichtiges nachdenken mussten, streckten sie sich häufig auf ihren Betten aus. Da er selbst nun bald erwachsen war, sollte er es sich auch langsam angewöhnen. Aber er war viel zu ruhelos. Er sprang wieder auf und guckte aus dem Fenster. Draußen war es immer noch hell. Er versuchte sich das Haus vorzustellen, in dem Mama Jenny wohnte. Dann fiel ihm ein, dass er ja einen Stadtplan von Stockholm besaß. Den hatte er vor ein paar Jahren im Papierkorb auf dem Bahnhof gefunden. Die Frage war nur, wo er ihn gelassen hatte. Er fing an zu suchen. Schließlich fand er ihn ganz hinten im Kleiderschrank. Er nahm ihn mit in die Küche und breitete ihn auf dem Tisch aus. Die Tür zu Samuels Zimmer war geschlossen. Joel hörte Radiomusik. Er bückte sich und spähte noch einmal durchs Schlüsselloch. Samuel hielt immer noch das Foto von Mama Jenny in der Hand. Aber er starrte zur Decke. Joel beugte sich über den Stadtplan auf dem Tisch und versuchte sich daran zu erinnern, was Samuel gesagt hatte. Mama Jenny wohnte in der Östgötastraße. Außerdem arbeitete sie in einem Lebensmittelladen in der Nähe vom Medborgarplatz.
Joel begann mit dem Finger zu suchen. Zuerst fand er den Medborgarplatz. Sein Herz schlug schneller. Es war, als ob Mama Jenny noch wirklicher geworden wäre, nachdem er den Platz gefunden hatte, wo sie arbeitete. Er suchte weiter. Als er den Finger gerade auf die Östgötastraße legte, öffnete sich die Tür und Samuel kam in die Küche. Joel zuckte zusammen, als ob er mit etwas Verbotenem beschäftigt wäre. Vielleicht wollte Samuel nicht, dass er nach Mama Jennys Straße suchte. Aber Samuel kam zu ihm und stellte sich neben ihn.
»Ich wusste ja gar nicht, dass du einen Stadtplan von Stockholm hast«, sagte er erstaunt.
»Ich hab ihn in einem Papierkorb gefunden«, antwortete Joel. »Ich wollte mal nachsehen, ob diese Elinor auch die Wahrheit schreibt.«
»Sie hat nicht gelogen«, sagte Samuel. »Jedenfalls nicht oft.«
Joel zeigte auf den Medborgarplatz. Und dann auf die Östgötastraße. Samuel ging in sein Zimmer und holte seine Brille. Dann guckte er genau auf den Plan und nickte. »Dann hat sie es nicht weit«, sagte er. »Von der Östgötastraße, wo sie wohnt, bis zum Medborgarplatz, wo sie arbeitet.«
Plötzlich wusste Joel, dass er unbedingt etwas sagen musste.
»Können wir sie nicht besuchen fahren?«, fragte er. »Jetzt wissen wir doch, wo sie wohnt.«
Samuel setzte sich an den Tisch. Er sah Joel an.
»Meinst du?«
»Vielleicht freut sie sich, wenn wir kommen«, sagte Joel. »Nach all diesen Jahren. Vielleicht möchte sie wissen, wie ihr Sohn aussieht. Jetzt, wo er fünfzehn Jahre alt ist und gute Zensuren gekriegt hat. Jedenfalls in Geografie.« Samuel sah ihn zweifelnd an.
»Wir können doch mal hinfahren und sie uns ansehen«, fuhr Joel fort. »Durchs Fenster im Laden, in dem sie arbeitet. Mich kann sie ja wohl kaum erkennen. Und du kannst eine Sonnenbrille aufsetzen.«
Samuel fing an zu lachen. Das kam unerwartet. Es kam immer unerwartet. Samuel lachte nicht oft. Er lächelte mehr. Aber lachen? Joel konnte sich kaum erinnern, wann er zuletzt gelacht hatte.
»Du hast natürlich Recht«, sagte Samuel. »Sobald deine Schule zu Ende ist, fahren wir hin.«
Joel fragte sich, ob er richtig gehört hatte. Samuel bemerkte seinen Zweifel sofort.
»Sobald deine Schule zu Ende ist«, wiederholte er. »Ich melde sofort ein paar Tage Urlaub an.«
»Vielleicht sollten wir ihr doch vorher schreiben, dass wir kommen«, sagte Joel.
Samuel dachte nach, bevor er antwortete. Dann schüttelte er den Kopf.
»Sie hat uns ja auch nicht vorher erzählt, wann sie weggehen wollte«, sagte er. »Also brauchen wir ihr auch nicht zu erzählen, wann wir sie besuchen wollen.«
An diesem Abend stand Joel wieder auf, nachdem Samuel zu Bett gegangen war. Er hatte sich nicht ausgezogen, nahm seine Schuhe und Jacke in die Hand und schlich hinaus. Es war immer noch hell, als er auf den Hof kam. Er schob
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