JörgIsring-UnterMörd
Briten erörtert zu haben.
Aber er wusste genau, dass Dahlerus mit seiner Einschätzung richtig lag. Wenn
Ribbentrop die Antwort abfasste, hieß das Krieg.
Er klingelte nach Kropp, um ihm die Order zu geben, Dahlerus wieder
einzulassen. Göring nickte dem Schweden zu. »Ihre Informationen sind richtig.
Uns bleiben noch zwei Stunden. Eine Stunde und vierzig Minuten, um genau zu
sein. Sehr wenig Zeit, um ein unter Volldampf fahrendes Schiff abzubremsen.«
»Wenn man ehrlichen Willens ist, ist es nie zu spät.«
Göring musterte Dahlerus. Was trieb diesen Mann nur an, was ließ ihn nie
innehalten, nie vollends verzagen? Es war ihm unerklärlich, ja manchmal
geradezu unheimlich, aber es nötigte ihm Respekt ab. Selbst jetzt, zehn
Sekunden vor zwölf, war er nicht bereit aufzugeben. So wie der Schwede seine
Stirn in Falten legte, grübelte er gar über einem neuen Vorschlag, einem
letzten Ausweg in schier aussichtsloser Lage. Bevor Göring etwas erwidern
konnte, sprach Dahlerus weiter.
»Lassen Sie mich mit London telefonieren. Vielleicht kann ich doch noch
etwas erreichen.«
Glaubte der
Schwede tatsächlich, er könne Chamberlain umstimmen? So weit ging Görings
Vertrauen in die Fähigkeiten des Unterhändlers denn doch nicht. Andererseits,
was schadete ein Versuch?
»Bitte. Probieren Sie es. Aber es wird schwierig sein, eine Verbindung
herzustellen.«
»Das wird schon
klappen. Von welchem Apparat kann ich einigermaßen ungestört sprechen?«
»Nehmen Sie den Apparat zwischen Speisewagen und
Küche.«
Dahlerus
entfernte sich. Göring wartete drei Minuten, setzte sich an seinen Schreibtisch
und drückte dort einen Knopf auf einem kleinen Schaltpult. Aus einem kleinen
Lautsprecher drang Dahlerus' drängende Stimme, die in dringlichem Ton auf eine
Telefonistin einredete. »Ich flehe Sie an, stellen Sie bitte eine Verbindung
her.«
»Ich habe Ihnen doch schon zweimal gesagt, alle Verbindungen nach England
sind unterbrochen.«
»Glauben Sie mir, ich würde es nicht versuchen, wenn es nicht dringend
wäre. Es geht nicht mal um mich, sondern es betrifft uns alle. Auch Sie und
Ihre Kinder, falls Sie welche haben. Wenn Sie etwas wirklich Hilfreiches tun
wollen, verbinden Sie mich.«
Die Telefonistin
zögerte. »Ich weiß nicht. So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist das
nicht.«
»Das ist mir klar. Aber ich weiß keinen anderen Ausweg. Und ich habe keine
Zeit mehr. Geben Sie sich einen Ruck. Tun Sie etwas Gutes.«
»Sie lassen aber nicht locker. Bleiben Sie in der
Leitung.« »Ich danke Ihnen.«
»Danken Sie mir nicht zu früh. Ich kann Ihnen nichts versprechen.«
In der Leitung knackte und rauschte es, dann bekam Dahlerus ein
Freizeichen, das hohl und weit entfernt klang. Nach ein paar Sekunden meldete
sich eine weibliche Stimme, die nun auf Englisch versuchte, Dahlerus' Wunsch
nach einer Verbindung ins Foreign Office abzublocken. Wieder bot der Schwede
alle seine Überredungskünste auf, diesmal allerdings in einer anderen Sprache,
und wieder hatte er damit Erfolg.
Göring an seinem Schreibtisch zog den Hut vor so viel Ausdauer. Dahlerus
telefonierte mittlerweile mit einem Beamten des Foreign Office.
»Mein Name ist Birger Dahlerus. Mr. Chamberlain ist bestens über meine
Person und meine Rolle informiert. Ich habe eine wichtige Nachricht für ihn.
Würden Sie ihm sie so schnell wie möglich mitteilen?«
Die Antwort war eher kühl. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Von wo rufen
Sie an?«
»Aus dem Befehlszug des deutschen Reichsfeldmarschalls Hermann Göring. Ich
hatte gerade eine Unterredung mit ihm und glaube, dass ich über wesentliche
Informationen verfüge, das britische Ultimatum betreffend.«
»Informationen welcher Art?«
»Sagen Sie dem Premierminister, dass ich nach Kenntnis der jetzigen Lage
nicht der Auffassung bin, dass die Deutschen sich zu einem Rückzug aus Polen
bewegen lassen. Sagen Sie ihm, dass ich allenfalls eine sofortige Beendigung
der Kampfhandlungen für realistisch halte. Nach Görings Worten musste sich noch
nie in der Weltgeschichte eine siegreiche Armee zurückziehen, bevor überhaupt
Verhandlungen begonnen haben. Sagen Sie Mr. Chamberlain weiterhin, dass ich in
der momentanen Lage den Austausch weiterer Noten für nicht zielführend halte
und stattdessen die Aufnahme direkter Gespräche zwischen England und Deutschland
empfehle. Würden Sie ihm das ausrichten?«
»Wie ich schon sagte, ich werde sehen, was ich tun
kann.«
»Sie wissen, dass nicht viel Zeit
bleibt.«
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