JörgIsring-UnterMörd
ein anderes Gewicht.«
Dahlerus nickte, zog es allerdings vor zu schweigen.
Göring fuhr fort. »Eines muss jedoch allen Beteiligten klar sein. Wenn
niemand bereit ist, mit Deutschland Gespräche aufzunehmen, sind wir
unsererseits entschlossen, den begonnenen Krieg zu Ende zu führen. Und nicht
nur das: Wir werden auch vor den Westmächten nicht kapitulieren, sondern ihnen
mit erhobenem Haupt und aufgepflanztem Bajonett entgegentreten. Wenn England
und Frankreich diesen Krieg wollen, werden sie ihn kriegen.«
Die Worte des Feldmarschalls trugen kaum dazu bei, die Laune des Schweden
zu verbessern. Aufgewühlt und beunruhigt verließ er Görings Befehlszug, um sich
die dort erfahrenen Neuigkeiten in der britischen Botschaft bestätigen zu
lassen. Die Fahrt dorthin dauerte etwa eine Dreiviertelstunde, und wie in den
Tagen zuvor erschien es Dahlerus auf den letzten Kilometern der Strecke, die
mitten durch Berlin führte, dass die Stadt vollkommen normal, von den
Ereignissen nahezu unberührt wirkte. Ein steter Strom von Menschen bewegte sich
an diesem Samstag über die Bürgersteige, alle gingen dem nach, was sie auch zu
Friedenszeiten bewegte. So schien es. Das Personal im Esplanade hatte dem
Schweden eine andere Perspektive offenbart, die der Übergangenen.
In der britischen Botschaft wurde er freundlich von Forbes empfangen.
Dahlerus beglückwünschte sich dazu, in dem Diplomaten einen ihm Wohlgesinnten,
ja fast einen Freund gefunden zu haben. Sie bewegten sich auf einer
Wellenlänge, das war ihnen beiden seit ihrem ersten Treffen klar. Ein Vorteil,
denn Dahlerus musste keine Zeit vergeuden. Er berichtete Forbes von Görings
Informationen bezüglich Mussolini.
Der Brite wirkte überrascht. »Von einem italienischen Vermittlungsversuch
ist mir nichts bekannt. Und ich habe vor einer Viertelstunde noch mit Cadogan
in London gesprochen. Wenn er etwas wüsste, hätte er es erwähnt.«
Dahlerus begriff gar nichts mehr. »Göring hat im Brustton der Überzeugung
davon erzählt. Wie wichtig es sei, dass nun ein Staatsmann zu schlichten suche.
Und dass er auf Mussolini und dessen Vermittlungskünste vertraue. Was soll
das?«
Forbes zuckte mit
den Achseln. »Wer weiß das schon? Wir werden doch tagtäglich an der Nase
herumgeführt. Eine neue Lüge, eine neue Finte? Das spielt für Leute wie Göring
keine Rolle. Sie haben längst den Überblick verloren oder die Fähigkeit,
zwischen Täuschung und Wahrheit zu unterscheiden.«
»Aber was sollte es bringen, mich zu belügen? Als ob sich zu diesem
Zeitpunkt noch irgendjemand davon beeinflussen lassen würde. Die Deutschen
haben Fakten geschaffen, und die Briten haben darauf reagiert. Alles andere ist
doch Augenwischerei.«
Forbes nickte.
»Stimmt. Und was mich dabei extrem beunruhigt ist die Tatsache, dass unsere
Note von gestern noch unbeantwortet ist. Chamberlain wird sich das nicht lange
bieten lassen. Hier geht es nicht mehr nur um Polen, hier geht es um Grundsätzliches.
Darum, der deutschen Regierung zu zeigen, dass sie mit ihrer Politik so nicht
ungeschoren weitermachen kann. Dass das System Hitler am Ende ist.«
Dahlerus sah
Forbes zweifelnd an. »Ich glaube, dass uns das teuer zu stehen kommt.«
37.
Berlin
3. September Görings Sonderzug,
früher Morgen
Göring träumte, er liege auf einer Wiese. Neben ihm spielten Emmy und Edda
im Gras. Merkwürdigerweise standen überall Staffeleien mit seinen Bildern
herum. Eine verdammte Schlamperei. Wenn nun ein streunender Hund eine
Staffelei umriss oder ein Vogel sich auf einen Rahmen setzte und das Bild
beschmutzte. Er musste die Werke in Sicherheit bringen. Wütend drückte er sich
hoch und ging zu der Staffelei, die ihm am nächsten lag. Es war ein Bild von
Lucas Cranach, das er sehr mochte, »Madonna mit Kind«. Er packte es und wollte
es von der Staffelei nehmen, aber es ließ sich nicht lösen. Er rüttelte
stärker, hob es hoch, doch das Kunstwerk blieb fest mit dem Holzdreifuß
verbunden. Göring spürte, wie es in ihm brodelte und er kurz davor war, noch
rabiater zu werden - da kräuselte sich die Leinwand, und die Farbe rieselte
wie feiner Staub zu Boden. Verzweifelt versuchte er, den Staub mit den Händen
aufzufangen, aber er rann ihm durch die Finger. Ein Windstoß verteilte die
Farbe auf der Wiese. Göring war den Tränen nahe. Was ihn ablenkte, waren Emmy
und Edda, die im Gras tanzten und dazu ein Kinderlied sangen. Emmy hielt ihre
Tochter an den Händen, sie drehten sich im Kreis, ihre Haare
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