Joes Diary - Tagebucheintraege des Serienkillers
das Fernsehprogramm. Komischerweise interessiert mich all das ungemein. Ich hänge an ihren Lippen. Sie ist meine einzige Verbindung zur Außenwelt. Noch komischer ist, dass ich mich auf ihre Besuche freue. Das ist ja wohl Beweis genug, dass ich nicht mehr Herr meiner Sinne bin. Gestern hat sie mir mein Weihnachtsgeschenk vorbeigebracht und gesagt, dass es gleichzeitig mein Geburtstagsgeschenk ist, weil sie es vor ein paar Wochen vergessen hat. Schon komisch – im Gefängnis war mein Geburtstag genauso ein Scheißtag wie alle anderen.
Heute hat mich Detective Schroder besucht. Zurzeit sieht er ziemlich fertig aus. Vor ein paar Tagen war er in den Nachrichten – anscheinend ermittelt er in einem Banküberfall, der schiefgelaufen ist und bei dem ein paar Leute draufgegangen sind, aber das interessiert mich nicht. Wieso auch? Er hat nach Melissa gefragt. Alle paar Wochen kommt er vorbei, um sich zu erkundigen, ob ich meine Meinung nicht geändert hätte. Aber ich werde ihm nicht helfen, was immer er mir auch als Gegenleistung anbietet. Wenn die Verhandlung vorbei ist und ich ein freier Mann bin, dann hilft es mir ja nichts, wenn Melissa dafür im Knast sitzt.
Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen.
Übrigens, der Geist macht mir nicht mehr so viel aus. Er ist noch da, aber inzwischen habe ich mich an ihn gewöhnt. Erst dachte ich, er will mir etwas sagen, aber er steht einfach nur da, wo er immer steht. Das ist zwar lästig, macht mir aber keine Angst mehr. Vielleicht ändert sich das, wenn er mir irgendwann erzählt, was er will. Irgendwie ist es sogar ganz nett, Weihnachten nicht alleine verbringen zu müssen – selbst wenn meine Gesellschaft aus dem Jenseits kommt.
5 Liebes Tagebuch …
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Liebes Tagebuch …
jetzt ist es schon neun Monate her, seit ich verhaftet wurde. Ich lasse mir seit Neujahr einen Bart stehen. Oder versuche es zumindest – es ist nicht ganz einfach. Er wächst ganz ordentlich, aber an manchen Stellen ziemlich schnell und an anderen kaum. Vielleicht sieht er nächstes Jahr ganz gut aus und juckt nicht mehr so.
Schroder hat mich heute Morgen besucht. Es gab Neuigkeiten – sie haben Melissas richtigen Namen herausgefunden: Natalie. Mir gefällt Melissa besser, und ich werde sie weiter so nennen, wenn wir wieder zusammen sind. Er hat mir nicht verraten, wie sie es rausgefunden haben, und will immer noch, dass ich ihm helfe, aber was kann er mir schon dafür anbieten? Nichts, so sieht’s aus. Meine ganze Verteidigung würde zusammenbrechen, wenn ich ihm helfe. Wir plädieren nämlich auf geistige Unzurechnungsfähigkeit. Damit ist mein Anwalt zwar nicht einverstanden, aber das hat er ja nicht zu entscheiden. Wie dem auch sei, ich glaube fest daran, dass kein Geschworener jemanden für eine Tat verurteilen wird, an die sich dieser Jemand überhaupt nicht erinnern kann.
Jetzt ist Mittagessenszeit, und danach habe ich einen Arzttermin. Ich muss zu einer Untersuchung ins Krankenhaus. Offenbar wäre die Untersuchung schon letztes Jahr, zwei Wochen nach der Operation, fällig gewesen, aber der Arzt, der den Termin machen hätte sollen, hat zu viele Drogen genommen, ist durchgeknallt und hat einen fremden auf der Straße gebeten, ihm einen runterzuholen. Da hat man ihm die Kehle durchgeschnitten. So was kann passieren, aber deshalb haben sie meinen Termin vergessen, und jetzt sind fast neun Monate vergangen. Die Wärter rufen uns zum Mittagessen – mal sehen, was es Gutes gibt.
Ich bin wieder da. Das Essen war okay, das Krankenhaus interessant. Ich hatte eine Eskorte von bewaffneten Polizeibeamten, und der Geist war auch dabei. Die Polizisten waren die gleichen, die mich letztes Jahr verhaftet haben, und sie waren anscheinend immer noch sauer. Ich und der Geist sind jetzt Freunde. Ich nenne ihn Schrody – nach Schroder. Traurige Nachrichten – Schrody wird bald verschwinden. Die Ärzte haben nämlich einen Metallsplitter in meinem Auge gefunden, wahrscheinlich das Fragment einer Patrone. Deshalb hatte ich einen dunklen Fleck vor den Augen – und die Größe und die Form des Splitters haben die Form eines Gespensts. Der Splitter war so klein, dass er nicht wehtut, und an dem Tag, als ich ihn abbekam, war so viel mit meinem Gesicht los, dass mir der Schmerz in meinem Augapfel gar nicht aufgefallen ist. Jetzt komme ich mir ziemlich blöd vor, weil ich dachte, es wäre ein Geist.
Sie haben mich gleich an Ort und Stelle operiert. Erst haben sie mich örtlich betäubt und mein Auge mit
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