Joes Diary - Tagebucheintraege des Serienkillers
von Blut. Und in meinem Ohr höre ich dieses schrille Kreischen, ein gleichförmiges Geräusch. Sally wird von mir heruntergezogen, und an ihrer Stelle erscheint Detective Schroder, und ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so erleichtert gewesen. Schroder wird mich retten, Schroder wird Sally mitnehmen und sie hoffentlich dort einsperren, wo man dicke Frauen wie Sally einsperren sollte.
»Ich bin …«, sage ich, aber bei dem Dröhnen in meinen Ohren kann ich nicht mal meine eigene Stimme hören. Ich habe keine Ahnung, was hier los ist. Ich bin verwirrt. Die Welt ist völlig aus den Fugen geraten.
»Halt die Klappe«, brüllt Schroder, aber ich kann ihn kaum verstehen. »Verstanden? Halt die Klappe, oder ich jag dir eine verdammte Kugel in den Kopf!«
So habe ich Schroder noch nie erlebt, und nach dem, wie er mit Sally redet, ist er wohl echt sauer, weil sie sich auf mich geworfen hat. Plötzlich fühle ich mich ihm näher als je zuvor. Doch angesichts der Schmerzen und der Tatsache, dass Fat Sally mich gerade mit ihren Fleischmassen umschlungen hat, sehne ich mich nach der Kugel, die er ihr angedroht hat. Sehne ich mich nach glückseliger Dunkelheit und nach der Stille, die sie mit sich bringt. Aber ich halte den Mund. Fast.
»Ich bin Joe«, brülle ich für den Fall, dass den anderen ebenfalls die Ohren dröhnen. »Slow Joe.«
Irgendjemand, keine Ahnung wer, verpasst mir einen Tritt oder Schlag, er kommt wie aus dem Nichts, mein Kopf schnellt zur Seite. Für einen Moment verschwindet Schro der aus meinem Blickfeld, und die Seitenwand meines Wohnhauses schiebt sich ins Bild. Ich kann den obersten Stock und die Regenrinne erkennen und die verdreckten, gesprungenen Fenster, und irgendwo da oben befindet sich meine Wohnung, und ich will nichts weiter, als mich dort hinlegen und herausfinden, was los ist. Dann verschwimmt alles und scheint zu Boden zu träufeln, wie Wasserfarben, die von einem Bild laufen, bis nur noch das Rot übrig ist; daran ändert sich auch nichts, als man mich auf die Füße hievt. Meine Klamotten sind feucht, denn der Gehweg ist nass, weil es die ganze Nacht geregnet hat.
»Ich habe meinen Aktenkoffer vergessen«, sage ich, und das stimmt. Ich habe jedoch keine Ahnung, wo er ist.
»Halt. Verdammt noch mal. Die Klappe, Joe«, sagt je mand.
Joe? Ich verstehe nicht – sind diese Leute so gemein zu mir und nicht zu Sally?
Ich kann meine Hände nicht spüren. Ich habe die Arme auf dem Rücken, und sie sind so eng aneinandergeket tet, dass ich sie nicht bewegen kann. Meine Handgelenke tun weh. Man zerrt mich fort, und ich komme ins Straucheln. Ich versuche, mein Augenmerk auf den Boden zu richten und zu erfassen, was gerade passiert. Ich schaue zu Sally und den Männern rüber, von denen sie zurückgehalten wird. Sie hat Tränen in den Augen. Und plötzlich sind die letzten sechzig Sekunden wieder da. Ich war auf dem Heimweg. Ich war glücklich. Ich hatte das Wochenende mit Melissa verbracht. Dann ist Sally in meine Straße gebogen. Sie hat mir vorgeworfen, ich hätte sie belogen, und sie hat mich beschuldigt, der Schlächter von Christchurch zu sein, und schließlich ist die Polizei aufgetaucht, und ich habe … ich habe versucht, mich zu erschießen.
Vergeblich, denn Sally hat sich auf mich geworfen.
Das Dröhnen in meinen Ohren wird ein wenig leiser, und vor meinen Augen ist immer noch alles rot. Vor mir steht ein Polizeiauto, das vor ein paar Minuten, als Sally in die Straße gebogen kam, noch nicht dastand. Ein Mann in Schwarz öffnet die Hecktür. Auf der Straße sind eine Menge Männer in Schwarz, alle mit Pistolen bewaffnet. Jemand sagt etwas von einem Krankenwagen, worauf irgendwer meint: Auf keinen Fall, und ein anderer: Scheiße, verpass ihm eine Kugel .
»Mann, der blutet uns den ganzen Sitz voll«, sagt jemand anders.
Ich senke den Blick, und überall auf dem Sitz und auf dem Boden ist genug von meinem Blut, um eine Putzkraft wie mich für ein paar Stunden auf Trab zu halten. Von dort reicht eine Spur bis zu meiner Pistole. Daneben steht Sally, inzwischen wird sie nicht mehr zurückgehalten. Ihr Gesicht und ihre Kleidung sind mit Blut bespritzt. Mit meinem Blut. Sie hat feuchte Augen, und das kotzt mich an, obwohl ich nicht weiß, warum. Während sie mich anstarrt, überlegt sie bestimmt, wie sie zu mir auf die Rückbank klettern und mich erneut platt walzen kann. Ihr blondes Haar, das vor ein paar Minuten noch zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war, hängt jetzt lose
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