John Lennon - across the universe - die spirituelle Biografie
außerhalb Englands hatten, ein spezielles Milieu an: Hauptsächlich bestand es aus Hafenarbeitern, aus Matrosen, aus Kleinkriminellen, aus Männern der Mittelschicht, die hier eine kleine Auszeit nahmen, und aus jungen Studenten mit einem Hang zur Boheme. In derartigen Clubs herrschte eine lärmende, leicht entflammbare, oft fast bedrohliche Atmosphäre. Immer wieder kam es zu Streitigkeiten. Prügeleien waren an der Tagesordnung. Die Kellner, die sich auch als Rausschmeißer betätigten, waren fast alle mit Schlagring, Totschläger und Tränengaspistole ausgerüstet. 42 Angesichts der vielen Tische, die in den Clubs bis unmittelbar an die Bühne standen, spielten die Musiker in Reichweite betrunkener Gäste, die laut waren und häufig durch Zwischenrufe auf sich aufmerksam machten. Wer all das heil überstehen wollte, musste lernen, sich keine Angst anmerken zu lassen. Wer jedoch unbeschadet durch diese Erfahrung hindurchgegangen war, gewann an Selbstvertrauen und war gegebenenfalls auch in der Lage, sich zu wehren.
Lennon ist in dem Chaos regelrecht aufgeblüht. »In Hamburg bin ich erwachsen geworden, nicht in Liverpool«, merkte er dazu später an. 43 Im Juli 1960 brach er seine Ausbildung am Liverpool College of Art endgültig ab. Bis dahin hatte seine Lebenseinstellung sich auf bloße Ablehnung beschränkt. Das System lehnte er ganz und gar ab. Gleiches galt für die Autoritäten, die es als ihre Aufgabe ansahen, ihn zur Anpassung an das System zu bewegen. Auch das reine Faktenwissen, das er sich aneignen sollte, ergab für ihn keinen Sinn.
In Hamburg fand er sich nun unversehens in einer Situation wieder, in der es zu dieser ablehnenden Haltung einfach keine Veranlassung mehr gab. Lennon fühlte sich in seiner Handlungsfreiheit nicht länger eingeschränkt und beschnitten. Hier wurde von ihm nur eines erwartet: die Musik zu spielen, die er liebte.
»Mit seinem Tun zeichnet der Mensch sein Gesicht«, heißt es bei Sartre –
to do is to be
. Nichts zu respektieren war die Haltung, die sich bei dem jungen Mann bereits in den letzten Jahren so stark ausgeprägt hatte, dass Lennon auch in der Zeit, als er in den Clubs in Hamburg spielte, nicht von dieser Einstellung abwich.
Wenn er spielte, ließ der Clubinhaber ihm in allem freie Hand. Denn er wusste: Je extravaganter die Show, desto höher der Getränkekonsum – und die Rechnung – der Gäste. Lennon dachte gar nicht daran, dem Publikum gegenüber in irgendeiner Weise klein beizugeben. Auf die Pöbeleien und Provokationen der Leute antwortete er mit einem »Sieg Heil!« und signalisierte ihnen, sie benähmen sich wie Nazis. 44 Seinem sarkastischen Humor (»Wo steht dein Panzer?«) konnte er dort zusätzlichen Schliff und noch mehr Prägnanz verleihen. Da er sich in seiner Muttersprache äußerte, fielen den Leuten im Publikum die spitzen Bemerkungen, die auf sie abgezielt waren, meist gar nicht weiter auf. 45 Auch sich selbst machte er zum Clown, kam zum Beispiel in Unterwäsche und mit einer Klobrille um den Hals auf die Bühne. Im Verlauf eines Auftritts trank, rauchte und aß er auf der Bühne, warf Essbares in Richtung der Zuhörer und brach einen Song plötzlich mittendrin ab, wenn er das Interesse verlor.
Außerdem definierte er sich nun in zunehmendem Maß über seine Kreativität, gewann als Sänger, Bühnenakteur und Songwriter an Reife. Da er mit der Band Abend für Abend sechs bis acht kräftezehrende Stunden auf der Bühne stand, lernte er, wie man die Aufmerksamkeit eines chaotischen Publikums gewinnt, Rhythmen spielt, die niemanden kaltlassen, und Melodien konzipiert, die den Leuten nicht mehr aus dem Kopf gehen.
Lennon kam auch mit dem in Berührung, was gemeinhin unter Existenzialismus verstanden wird. Seit dem Zweiten Weltkrieg war Jean-Paul Sartre, der bekannteste Verfechter dieses philosophischen Ansatzes, von Intellektuellen gefeiert worden. In Philosophievorlesungen und -seminaren widmeten Universitätsprofessoren sich der Darlegung und Diskussion seiner Gedanken, die daraufhin, vermittelt über die Studenten, weitere Kreise zogen. Diese Gedanken in all ihrem subtilen Nuancenreichtum zu erfassen, damit taten sich viele Studentinnen und Studenten zwar durchaus schwer. Desillusioniert von den politischen und wirtschaftlichen Ideologien, die von der Gesellschaft Besitz ergriffen hatten, kamen sie dem für diese Philosophie grundlegenden Aufruf, sich selbst zu definieren, dennoch bereitwillig nach.
Zusammen mit seinen Freunden von der
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