John Sinclair - 0977 - Liliths grausame Falle (2 of 2)
dessen Grund die zahlreichen Leichen lagen.
Es war ihr Gestank, und es war der Geruch des Blutes, der nur vom letzten Opfer stammen konnte.
Dick hatte der Mann geheißen.
Und ich habe mich von ihm reinlegen lassen, dachte Charlotte. Ich habe ihn als Kunden, als Gast angesehen. Ich habe ihn hier in mein Refugium bestellt, und ich habe ihn auch töten können. Er war kein normaler Gast gewesen, sondern einer, der mir auf die Schliche gekommen ist.
Ohne den direkten Beweis erhalten zu haben, ging die Frau davon aus. Sie war beileibe kein Dummchen und wußte sehr gut, wie es weiterlaufen würde.
Sollte der Mann tatsächlich ein Polizist gewesen sein, würden seine Kollegen nicht eher ruhen, bis sie das Verschwinden aufgeklärt hatten. Und das konnte zu großen Problemen führen. Deshalb auch diese nicht zu überhörende Warnung und das Gefühl der immer stärker werdenden Spannung.
Charlotte näherte sich dem Brunnen. Das Erdreich war warm. Gras streichelte die nackten Knöchel und Beine. Vögel flogen über ihren Kopf hinweg. Sie sangen unbeschwert, während sich weiter unter ihnen das Unheil anbahnte.
Dieser Gedanke machte Charlotte immer nervöser. Sie war drauf und dran, nach London zu fahren, um sich in der Nähe ihres Apartments umzuschauen, ob es dort etwas Besonderes gab oder sich gewisse Dinge verändert hatten.
Sie kehrte nicht um.
Der Brunnen lockte.
Auch der Blutgeruch hatte zugenommen. Dicht vor dem Brunnen blieb sie stehen. Dann legte sie ihre Hände flach auf den Rand. Selbst das feuchte Moos auf den Steinen hatte die Strahlen der starken Morgensonne gespeichert und sie noch nicht abgegeben.
Charlotte beugte sich vor.
Der erste Blick fiel in die Tiefe!
Jetzt, wo das Licht der Sonne über die Erde floß, hatte sich am Brunnen nichts verändert.
Es war nicht unbedingt ruhig in ihrer Umgebung, denn der Blutgeruch hatte unzählige dicke Fliegen angelockt, die über und auch im Brunnen ihre Tänze aufführten, als folgten sie den abgehackten Bewegungen eines unsichtbaren Dirigenten.
Sie schaute hinein. Sie schnupperte. Ihre Nasenflügel zuckten. Der Geruch war da, und er war noch stärker geworden. Er kratzte in der Nase, und auch in der Kehle. Sie räusperte sich, hustete in den Schacht hinein – und erstarrte plötzlich, als hätte man sie schockgefrostet.
Aus der Tiefe war sie angesprochen worden.
Charlotte wollte es zuerst nicht glauben. Das konnte nicht wahr sein. Die Kerle waren alle tot, da hatte sie sich schon überzeugen können, doch jetzt diese Stimme.
Frau oder Mann?
Plötzlich war sie unsicher geworden. Die Stimme hatte ziemlich neutral geklungen, und sie war auch von ihr so überrascht worden, daß sie zunächst an sich selbst und weniger an die Person unten im Schacht gedacht hatte.
Das war nun vorbei.
Charlotte hatte sich ein Herz gefaßt und rief nun lauter in die Tiefe hinein. »He – ist da jemand?«
Ein Echo glitt an den Wänden entlang in die Tiefe und verhallte …
Keine Antwort.
Aber ich habe mich nicht getäuscht, dachte sie. Ich habe es mir nicht eingebildet, und das bekam sie wenige Herzschläge später bestätigt.
»Bitte – ich … Meine Güte, helfen Sie mir doch. Ich kann nicht mehr …«
Charlotte wußte Bescheid. Unten auf dem Schachtgrund befand sich eine Person.
Es war aber kein Mann wie die Leichen dort. Zu ihr hatte eine Frau gesprochen …
*
Es war für Jane nicht mehr nachvollziehbar gewesen, was sie da durchlitten hatte. Sie erinnerte sich an die Disco, sie erinnerte sich an Coco, an die Tanzfläche, durch deren Glas das Gesicht der Urdämonin Lilith geschimmert hatte, und sie erinnerte sich auch daran, wie die sonst harte Unterlage plötzlich aufgeweicht war und sie hineingeglitten war.
Tiefer – immer tiefer …
Sie hatte Luft holen können. Sie war nicht erstickt. Es wurde auch ihr Körper nicht zusammengepreßt, sie hatte nur eine gewisse Grenze überschritten, die kaum zu erklären war.
Eine andere Welt oder Dimension hatte sich ihr eröffnet, und sie gehörte Lilith.
Eine Höllenwelt, wenn man so wollte. Nur hatte sie nichts mit der Höllen weit gemein, wie sie von Menschen seit dem Mittelalter überliefert worden war.
Da gab es kein Feuer, es gab keine Hitze, es war die grausame und kalte Umgebung gewesen. Nicht einmal zu sehr von der Temperatur her, nein, diese Kälte war einfach nur mit dem Gefühl zu erklären. Eine leere und gefühlskalte Umgebung, die Jane hatte frieren lassen.
Dabei war sie sich manchmal
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