John Sinclair - 0977 - Liliths grausame Falle (2 of 2)
unbekannt. Schlimmer als der Boden im Brunnen konnte es nicht werden.
Also nach vorn. Immer der Nase nach. Weg von diesen Toten, dachte sie sarkastisch. Hin zu Charlotte.
Nur zu ihr?
Sie wußte es nicht. Es war durchaus möglich, daß sich auch Lilith in deren Nähe befand, aber das würde sich herausstellen, wenn sie ihr neues Ziel erreicht hatte.
Es war ein innerlicher Energiestoß, der durch Janes Körper raste. Plötzlich war sie wieder fit. Jetzt stimmten die Regeln wieder. Sie schwamm nicht durch andere Welten und war auch nicht dabei, irgendwelche Zeiten zu überbrücken, hier fand sie sich in ihrer Welt wieder, auch wenn diese völlig finster war.
Jane ging und tastete sich dabei im Dunkeln voran. Obwohl es sie drängte, riß sie sich zusammen.
Sie durfte nicht zu schnell gehen, weil sie immer wieder mit irgendwelchen Hindernissen rechnen mußte, die auf dem Boden lagen.
Auch hielt sie stets den rechten oder linken Arm nach vorn gestreckt. Dabei wechselte sie sich in einem bestimmten Rhythmus ab und war jedesmal froh, wenn sie ins Leere griff und Meter für Meter weiterkam.
Was tat die andere?
Während sie lief, versuchte sie sich abzulenken und gedanklich in die andere Person hineinzuversetzen.
Diese Charlotte mußte einfach damit rechnen, daß Jane den zweiten Ausgang fand. Was tat sie dann? Warten? Am anderen Ende des Ganges lauern?
Möglich.
Unter Umständen aber hatte es sich Charlotte anders überlegt und würde ihr entgegenkommen. Diese Möglichkeit beschäftigte Jane doch sehr. Hin und wieder blieb sie deshalb stehen, um zu lauschen, aber fremde Laute nahm sie nicht wahr. Nur ihren eigenen Atem hörte sie. Er klang leicht keuchend.
Auch hatte sie bemerkt, daß der Weg leicht anstieg. Nicht sehr steil, eher unmerklich, aber immerhin. Er näherte sich dem Ausgang.
Ein zweites Ziel wartete auf Jane, und dieser allmähliche Anstieg machte ihr Mut. Zu ducken brauchte sie sich nicht, der Tunnel war hoch genug.
Allmählich gewöhnte sich die Frau an ihre Umgebung. Sie kam ihr nicht mehr so eng und bedrückend vor. Gedanklich hatte sich Jane darauf eingestellt, dieser Finsternis entkommen zu können.
Zudem spürte sie den Druck der Beutewaffe. Sie war in der Lage, sich zu verteidigen, wenn sie angegriffen wurde.
Kam sie?
Wieder lauschte Jane.
Und sie hörte etwas.
Ein leichtes Schaben. Etwas rollte über den Boden. Es konnten kleine Steine sein, die sie unbemerkt bewegt hatte. Sie hielt den Atem an. Plötzlich kam sie sich nicht mehr so sicher vor. Aus dem Finstern vor ihr konnte sich wer weiß was nähern, das mußte nicht unbedingt Charlotte sein, vielleicht irgendein Untier.
Warten, lauern …
Ja, sie war sich sicher. Da kam jemand. Näher, immer näher. Jane hatte inzwischen ihren Standort gewechselt und sich gegen die Stollenwand gedrückt. Sie hielt auch die Waffe fest. Das heißt, ihre Hand lag auf dem Griff, gezogen hatte sie den Revolver noch nicht.
Die andere Person ging sehr vorsichtig. Als wüßte sie genau Bescheid, daß sie erwartet wurde.
Plötzlich verstummten die Schritte. Es war auf einmal völlig still geworden.
Das Licht traf sie plötzlich. Und die andere Person hatte auch genau gewußt, wo sich Jane aufhielt.
Sie hatte ihre Lampe so gehalten, daß der Strahl einen Kreis in ihr Gesicht zeichnete und sie blendete.
Jane konnte nichts sehen. Dieser Übergang vom Dunkel ins Helle war einfach zu abrupt gekommen und hatte Jane gebannt. Sie traute sich auch nicht, sich zu bewegen. Sie wollte den Revolver nicht zeigen und die andere Person aufmerksam machen, aber sie hörte ihre Stimme und war überrascht von dieser ungewöhnlichen Ansprache.
»Hallo, Freundin …«
*
Es war uns tatsächlich gelungen, einen Mann aufzutreiben, der sich in diesem Gebiet, in dem wir das Versteck der Charlotte vermuteten, auskannte.
Der Mann hieß Oswald Crane, arbeitete als Oberförster, war Heger und Verwalter zugleich, doch sein Büro sah nicht so aus, wie man sich ein Forsthaus vorstellte. Da regierte der Computer, da stand die Telefonanlage, da stapelten sich die Akten in den Regalen. Das einzige Grüne war das Hemd des Mannes, der uns gegenübersaß und sich unsere Geschichte angehört hatte.
Er hatte geschwiegen. Er war sehr ruhig geblieben. Überhaupt machte er auf uns einen sehr souveränen Eindruck. Sein Gesicht zeigte die ersten Falten, das Haar war von grauen Strähnen durchzogen und wellte sich etwas auf seinem Kopf. Hinter den kreisrunden, kleinen Brillengläsern
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