John Wells Bd. 1 - Kurier des Todes
Ebene traf. Da waren sie. Scheinwerferlichter, die nach Norden zogen. Ein Dutzend Fahrzeuge in einem geschlossenen Konvoi, danach eine Unterbrechung, und dann nochmals ein Dutzend. Pickups, auf deren Ladeflächen Maschinengewehre Kaliber .50 montiert waren. 5-Tonnen-Truppentransporter mit je zwanzig Soldaten. Während der Mond am Himmel hochstieg, folgte ein Scheinwerferpaar auf das andere. Ein Dutzend Wagen und noch ein Dutzend. Die Taliban formierten sich, um die Frontlinie der Nordallianz anzugreifen.
Sobald die Lastwagen die Frontlinie erreichten, schalteten sie die Scheinwerfer ab. Wells zog das Nachtsichtgerät hervor, das er einem glücklosen russischen Major in Tschetschenien abgenommen hatte – sein einziger Luxus –, und suchte damit das Tal unter sich ab. Mittlerweile hatten sich Hunderte Transporter versammelt. Insgesamt etwa dreitausend
Soldaten, vor allem Afghanen und Araber. Sie waren gekommen, um Kabul gegen die Ungläubigen zu verteidigen, die den Frauen gestatten wollten, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wenn es den Taliban gelänge, die Frontlinie der Nordallianz zu durchbrechen, wären sie vielleicht imstande, einen Großteil ihrer verlorenen Gebiete wiederzugewinnen. Wells Einheit war ausgeschickt worden, um auszukundschaften, ob die Allianz von dem bevorstehenden Angriff wusste. Bisher hatte er jedoch keine Verteidigungsmaßnahmen beobachtet.
Wells gab das Nachtsichtgerät an Ahmed weiter. »Dann stimmt es also?«, fragte der.
»Nam. Wir greifen heute Nacht an.«
»Haben wir eine Chance zu siegen?«
Vor einem Monat wäre Ahmeds Frage noch undenkbar gewesen. Der amerikanische Bombenhagel hatte das Selbstbewusstsein der Taliban weit stärker erschüttert, als Wells vermutet hatte.
»Selbstverständlich«, sagte er. »Inschallah.« In Wahrheit bewunderte Wells die Kühnheit des Plans. Die Taliban forderten den Kampf lieber auf feindlichem Gebiet heraus, als zu warten, bis sie in ihren Bunkern umkämen. Allerdings bot diese Ansammlung von Taliban-Kämpfern ein leichtes Ziel für die Jets am Himmel. Um tatsächlich Erfolg zu haben, mussten die Taliban-Truppen möglichst schnell die Frontlinie der Nordallianz durchbrechen. Dies bedeutete Nahkampf zwischen den Soldaten der Taliban und der Allianz. Dadurch wäre es den Amerikanern unmöglich, mit Bomben in den Kampf einzugreifen, ohne Feinde und Verbündete gleichermaßen zu vernichten.
Im Tal formierten sich die Taliban-Truppen zu kompaniegroßen Einheiten, um weiter vorzurücken.
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Der letzte Truppentransporter hatte kaum die Frontlinie erreicht, als auch schon die Bomben fielen. Geschosse durchschnitten die Nacht und explodierten in weißen und roten Feuerbällen auf der Ebene unterhalb von Wells, wie ein umgekehrtes Feuerwerk. In willkürlicher Folge wechselte ein scharfer Knall auf schweres lang andauerndes Grollen, immer drei bis vier Explosionen rasch hintereinander und danach eine lange Pause. Die Wucht der Detonationen ließ sogar die Hütten rund um Wells und seine Männer beben, während eine Explosion die Nacht mit einem gewaltigen roten Feuerball erhellte.
»Das war wohl ein Munitionstransporter«, sagte Wells mehr zu sich selbst als zu Achmed.
Der Bombenangriff schien mehrere Stunden zu dauern, doch als er schließlich vorüber war und Wells auf die Uhr sah, erkannte er, dass nur vierzig Minuten vergangen waren. Durch das Fernglas betrachtete er die Ebene unter sich. Flammen schlugen aus den verstümmelten Wracks der Pickups und Fünftonner. Überall auf dem harten Boden lagen Verletzte und Tote. Offenbar hatten die Amerikaner nur darauf gewartet, dass die Taliban-Kämpfer in die Falle tappten. Das bedeutete jedoch auch, dass hier in der Nähe eine Spezialeinheit verborgen sein musste, die den Bombenangriff koordiniert hatte. Genau wie Wells gehofft hatte. Geschockt von dem, was sie eben miterlebt hatten, schwiegen seine Männer. Die Taliban auf der Ebene versuchten, sich neu zu formieren, doch nun eröffneten die Truppen der Nordallianz mit Maschinengewehren und Mörsern das Feuer. Schon bald würde auch der nächste Bombenangriff losbrechen. Ohne den Überraschungseffekt hatten die Taliban keine Chance.
Wells ließ das Fernglas sinken. »Wir brechen auf«, verkündete er.
»Gehen wir zurück?«, fragte Achmed.
Wells schüttelte den Kopf und deutete auf die Gebirgskette im Norden. »Dort oben liegen die Amerikaner, die den Bombenangriff steuern.« Achmed sah ihn
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